§. 409. Das Zeitalter Ludwigs XIV. 283
wozu die ersten Geister Frankreichs ihre Talente in Bewegung setzten, folgten in
reizendem Wechsel auf einander; Dichter, Künstler und Gelehrte wetteiferten in Ver-
herrlichung eines Fürsten, welcher alle Talente, die zu seinem Ruhme oder zu seinen Ver--
gnügungen beitrugen, mit freigebiger Hand belohnte. Stolze Bauwerke, wie das
Jnvalidenhaus, kostbare Bibliotheken, herrliche Druckwerke, großartige An-
stalten für Naturwissenschaften, Akademien u. dgl. mehr erhöhten den Glanz unv
Ruhm des großen Ludwig. Die feine Geselligkeit, der gebildete Ton, die leichten
Manieren des Adels und der Hofleute besiegten Europa weiter und dauernder als die
Waffen der Heere. Französische Moden, Sprache und Literatur wurden von der Zeit
an in allen Kreisen der höhern Gesellschaft herrschend.Ljl.Die Gründung der fran-
zösischen Akademie durch Richelieu hatte zur Folge, daß die französische
Sprache, der Stil und die schriftstellerische Form ausgebildet wurden, ein Borzug,
welcher der Verbreitung der Literatur sehr förderlich war. Die für den geselligen
Verkehr, für die mündliche Unterhaltung, wie für Briefe besonders ausgebildete Sprache
blieb fortan die Sprache der Diplomatie, der Höfe und der höhern Gesellschaft; und
wenn gleich den literarischen Erzeugnissen Kraft, Schwung und Natur abgeht, die
Glätte der Fortn, die Leichtigkeit und Gewandtheit des Stils verschafften dein fran-
zösischen Geschmack die Herrschaft in Europa und bestärkten die Franzosen in dem
selbstgefälligen Dünkel, daß sie das gebildetste Volk seien. Die dramatische Dicht- 6ctnemt
fünft erreichte zu Ludwigs Zeit ihren Höhepunkt in Peter Corneille, dessen „Cid" + i«84.
als Grund und Ansang der klassischen Bühnendichtung gilt, in Jean Racine, der +Ä|69v.
in seiner Iphigenie und Phädra mit Euripides zu wetteifern wagte und in
Esther und Athalie mit Glück biblische Stoffe behandelte, und in dem talentvollen
Komödiendichter Moliöre, dessen Tartüffe, Geizhals, Menschenfeind u.
a. den tiefen Kenner der menschlichen Natur in ihrer Verirrung beurkunden.
Boileau (Desproaux), ein gewandter Verskünstler, wurde wegen seiner Oden
und Satiren als französischer Horaz gepriesen; Lasontaine's Fabeln und aafontm.'e
Erzählungen sind noch jetzt als Schul- und Kinderbuch in allen Familien bekannt + 1694-
und die Abenteuer Telemachs vom Bischof Fenelon sind in alle europäischen
Sprachen übersetzt und haben eine unglaubliche Verbreitung. Zugleich wurde durch
den Bischof B o s s u e t und andere geistliche Redner die Kanzelberedsamkeit, durch den +®^u0rt4
Huguenotten Bayle die Philosophie des Zweifels (Skepticisrnns) und durch die »aale "
Religionspartei der Iansenisten, in ihrem Kampfe gegen die Jesuiten und deren * noß"
gefährliche Sittlichkeitslehre, die Literatur der Streitkunst mit Verimnftgründen
(Polemik) ausgebildet. In dieser letzten Gattung stehen die Briefe aus der
Provinz von Pascal oben an. Durch sie wurde die „Gesellschaft Jesu" in ähn-
licher Weise erschüttert, wie einst durch die Briefe der Dunkelmänner (§. 313) der
gefammte alte Klerus.
§. 409. Aber wie sehr auch Schmeichler das Zeitalter Ludwigs XIV. preisen
mögen, Einen Schandfleck, die Verfolgung der Huguenotten, können sie nicht
vertilgen. Der französische König glaubte, daß mit einer vollendeten Monarchie
Einheit der Kirche unzertrennlich sei. Darum bedrückte er die Iansenisten,
eine katholische Partei, die zuerst gegen die Jesuiten, dann gegen das kirchliche Ober¬
haupt selbst ankämpften, und zwang durch die härtesten Verfolgungen die Calvinisten
theils zur Flucht, theils zur Rückkehr in den Schooß der katholischen Kirche. Lange
hintertrieb Colbert, der die Huguenotten als betriebsame, gewerbthätige Bürger
schätzte, gewaltsame Maßregeln; aber die Einflüsterungen des königlichen Beichtvaters
La Chaise, der Bekehrungseiser der frömmelnden Frau von Maintenon, die
zuerst Erzieherin ant Hof, dann Ludwigs angetraute Gemahlin war, und der harte
Sinn des L^riegsrninisters Louv ois trugen endlich den Sieg über Colb erts Rath-
schlage davon. Eine lange Reihe drückender Maßregeln gegen die Huguenotten bereitete