6 Geschichte der alten Welt. §. 5.
Griechen und Römer veranstalteten ihren Göttern fröhliche Feste, an denen sie die
dargebrachten F r ü ch t e und die geopferten Thiere, von der geringen Gabe
eines Erstlinas bis zu der großen Opferfeier von hundert Stieren (Heka-
tombe) im Freundeskreise verzehrten, indeß wilde oder halbcivilifirte Völker
auf ihren Altären Menschen schlachteten, um durch die arößte und werthvollste
Opfergabe die Himmelsmächte zu bewegen, sich der bittenden Menschheit gnädig
zuzuwenden, oder wenn sie zürnten, sie zu versöhnen; und die phönizischen und
syrischen Stämme legten das Theuerste, was sie besaßen, sogar ihre eigenen Kinder,
als Sühnopfer in die Arme eines glühenden Götzenbildes, Moloch genannt. —
Wohl sollte das Götterbild nur das sinnliche Zeichen eines übersinnlichen Be-
griffes oder einer unsichtbaren Kraft sein, aber im Volksglauben verlor sich
häusig die höhere Bedeutung und man zollte den leblosen Bildnissen selbst
Verehrung. Nur die Priester und Weisen kannten den tieferen Sinn, allein
sie theilten ihn dem Volke nicht mit, sondern hüllten ihn in Geheimlehren
und bewahrten ihn als Sondergut ihres Standes. Zu diesem Zweck erfanden,
sie viele Sagen, Erzählungen und Fabeln von den Göttern, denen sie dienten,
kleideten sie in dichterische Formen und begründeten somit die Mythologie
oder Götterlehre, worin die Thaten und Schicksale der verschiedenen Gott-
heiten und zugleich die Verhältnisse der Menschen zu denselben dargestellt sind,
aber nicht in klarer, verständlicher Sprache, sondern eingehüllt in räthselhaste
Andeutungen, allegorische Erzählungen und bildliche Rede. Je mehr ein
Volk schöpferische Einbildungskraft besitzt und dem Göttlichen zugekehrt ist,
desto reicher ist seine Mythologie. In den heiligen Mythen spiegelt sich das
innere Leben jugendlicher Völker ab, daher sie auch eine reiche Quelle der Kunst
und Poesie geworden sind. Dienten die Göttersagen zur Erzeugung des Wer-
glaubens im Volke, so war der feierliche Cultus mit seinen geheimnißvollen
Ceremonienund seinen sin »bildlichen (symbolischen) Gebräuchen
in den geweihten Räumen des Tempels darauf berechnet, das Volk in Ehrfurcht
und heiliger Scheu zu erhalten; und um den Glauben an die Nähe und an
das Eingreifen der Götter in die menschlichen Angelegenheiten fester zu be-
gründen, wurden angesehene Tempel und geheiligte Orte mit einem Orakel
versehen, wo das gläubige Volk in dunkeln, vieldeutigen Aussprüchen Belehrung
über die Zukunft und Rath in bedenklichen Zeitlagen einholen konnte. So
wurde der menschliche Geist in seinem Suchen nach der göttlichen Wahrheit
vielfach irre geleitet und bald durch blendende Cultusformen, bald durch todten
Gesetzesdienst umstrickt, die Sehnsucht des Herzens nach den übernatürlichen.
Mächten auf das Sichtbare und Sinnliche abgelenkt.
A. Morgenländische Völker.
1. Orientalisches Wesen.
§. 5. Asien, von seiner Lage Morgenland (Orient) genannt, ist
die Wiege des Menschengeschlechts. In den reizenden Gegenden des Hi-
malajah-Gebirgs, jenes mächtigen„Schneepalastes",dessen Gipfel sich in
den Wolken verlieren, in dessen geschützten Thalungen blühende Landschaften
mit einem glücklichen Klima sich ausdehnen, sind die paradiesischen Ursitze
zu suchen. Im Morgenlande entstanden zuerst jene großen Staaten und
Städte, von denen die andern Länder einen Theil ihrer bürgerlichen Ein¬
richtungen, ihres Religionswesens und ihrer Bildung überkamen und die man
daher Cultur-Staaten nennt; im Moraenlande, wo das Kämeel, „das
Schiff der Wüste", lebt, gestaltete sich zuerst jener großartige Binnenhandel,
Karavanenhandel genannt, der auf den Gang menschlicher Bildung so