Full text: Die Weltgeschichte in übersichtlicher Darstellung

§. 528. Der deutsche Befreiungskrieg und Napoleons Sturz. 373 
Feinden nicht von der Seite und zwang sie, jeden Schritt zu erkämpfen. Als 
um die Mitte des November Smolensk erreicht wurde, zählte das Heer noch 
etwa 40,000 streitbare Soldaten; über 30,000 wehrlose Nachzügler folgten 
ohne Zucht, Ordnung und Führung den Spuren der Vorangegangenen, ein 
Bild des Jammers und Entsetzens. Und doch begann das größte Elend erst 
hier, weil durch fehlerhafte Anordnung die erwartete Zufuhr von Waffen, 
Kleidern und Lebensmitteln sich in Smolensk nicht vorfand, und die Feinde 
in verstärkter Zabl den Ziehenden den Weg verlegten. Der Held des Rück- 
zugs war Ney, der Führer der Nachhut, der „Tapferste der Tapfern". Sein 
Uebergang über den gefrorncn, aber theilweise ausgethauten Dnepr zur Nacht- 
zeit war eine der kühnsten Kriegsthaten, deren die Weltgeschichte gedenkt. Am 
25. Novbr. gelangte das Heer an den ewig denkwürdigen Fluß Beresina. 
Im Angesicht der feindlichen Armee wurden zwei Brücken geschlagen und der 
kleine Rest, der sich noch in Reih und Glied bewegte, unter unzähligen Ge- 
fahren hinübergeführt, aber gegen 18,000 Nachzügler, die nicht zeitig genug 
ankamen, sielen in die Hände der Feinde. Wie viele in den kalten Fluthen 
des Flusses zwischen den Eisschollen ertranken, oder bei dem entsetzlichen 
Gedränge zertreten und zerdrückt wurden, konnte Niemand berechnen. Nach 
beut Uebergang über die Beresina hatte Napoleon noch 8000 kampffähige8 V**?9 
Soldaten. Ney war der letzte Mann der Nachhut. Halb Europa hatte zu i8iei 
trauern. Am 3. December erließ Napoleon das berühmte 29. Bülletin, das 
den harrenden Völkern, die seit Monaten ohne Nachricht geblieben waren, 
bie Kunde brachte, daß der Kaiser gesund, die große Armee aber vernichtet 
sei. Zwei Tage später übergab er den Oberbefehl an Mürat und eilte nach 
Paris, um neue Rüstungen anzuordnen. 
D. ÄuMnng des französischen Kaiserreichs 
und Legründnng neuer Zustände. 
1. Her deutsche Befreiungskrieg und Napoleons Sturz. 
§ 528. Talleyrands angebliche Aeußenmg, daß der russische Feldzug 
„ber Anfang vom Ende" sei, erwies sich bald als wahr. Zwar ergänzte 
eine drückende Eonscription wieder die Lücken im französischen Heer, aber der 
Glaube an Napoleons Unüberwindlichkeit war verschwunden und die frischen, 
aus jungen, ungeübten Leuten gebildeten Armeen traten einem Feind gegen- 
über, den theils der errungene Sieg, theils das neuerwachte Gefühl der 
Paterlandsliebe zu Großthaten begeisterte. Schon am 30. Decbr. hatte der isia. 
Preußische General 3)ork, der unter Macdonald an der Ostseeküste stand, 
mit dem russischen Feldherrn Diebitsch eine Übereinkunft geschlossen und war 
mit seinen Truppen vom weiteren Kampfe abgestanden. Diese That wurde 
Zwar in Berlin öffentlich mißbilligt, aber des Königs Reise nach Breslau, 
wo sich viele vaterländische Männer um ihn sammelten, war der erste Schritt 
F einem Bunde mit Rußland, der unter Steins thätiger Mitwirkung schon 
tm Februar zu Stande kam. Die grenzenlose Mißhandlung Preußens hatte 1813. 
tn der Nation einen solchen Groll gegen die fremde Zwingherrschaft erzeugt, 
daß des Königs „Aufruf au mein Volk" zu freiwilliger Bewaffnung eine n- Mär«. 
Unglaubliche Kampflust hervorbrachte. Die Begeisterung ergriff alle Stände 
Und Alter. Jünglinge und Männer entzogen sich den gewohnten Beschäftigungen
	        
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