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errichtete man eine eigene Behörde. Man strebte zunächst dahin, einen 
Stamm erfinderischer Musterzeichner und geschickter Arbeiter zu bilden 
und ihren Geschmack auf eine gute Grundlage, auf das Studium der 
besten Erzeugnisse der früheren Kunstperioden aller Länder zu stellen 
und zugleich das Interesse und den Geschmack des Publikums auf diese 
Richtung hinzulenken. In ganz England entstanden nun eine große Anzahl 
gewerblicher Schulen, in denen besonders der Zeichenunterricht gepflegt 
wurde, und in der Metropole London entstand neben der Hauptgewerbe— 
schule eine große Sammlung mustergültiger Gegenstände aller Arten, von 
allen Völkern und aus den verschiedensten Zeiten. Das Publikum wurde 
außerdem durch Vorträge und Schriften aufgeklärt. Dies ist der Grund— 
gedanke des Kensington-⸗Museums in London, welches sich im Laufe der 
Jahre in großartigster Weise entwickelt hat. Im unmittelbaren Anschluß 
an dieses Museum entstanden in England einige ganz neue Industriezweige, 
und auf zwei großen Ausstellungen der sechziger Jahre trat die englische 
Industrie der französischen konkurrenzfähig gegenüber. Seit dieser Zeit 
hat sich die Einfuhr kunstgewerblicher Gegenstände nach England merklich 
verringert, ja sogar eine Ausfuhr derselben nach Frankreich begonnen. 
In Frankreich und Österreich fand die Einrichtung des Londoner 
Kensington-Museums entsprechende Nachahmung. 1867 wurde in Berlin 
von Privaten das deutsche Gewerbemuseum gegründet, welches sich im 
allgemeinen der Anlage des österreichischen Museums anschloß und jetzt 
als Kunstgewerbemuseum einen Ruf genießt. 
Wie Berlin in politischer Beziehung tonangebend in Deutschland 
dasteht, so hat das Gewerbe und besonders das Kunstgewerbe hier eine 
Förderung erfahren, welche auch in dieser Beziehung Berlin an die Spitze 
des Vaterlandes stellt. Insbesondere sei hier auf die Königliche Kunstschule 
und auf die verschiedenen wohlorganisierten Anstalten zu kunstgewerblicher 
Ausbildung hingewiesen. Alle diese Einrichtungen haben den Zweck, Hand- 
werk und Gewerbe unabhängig vom Auslande und von ausländischen 
Mustern, die deutsche Industrie aber auf dem Weltmarkte immer konkurrenz⸗ 
fähiger zu machen. 
Einige Jahre später als das heutige Kunstgewerbemuseum in Berlin 
wurde das bayrische Gewerbemuseum in Nürnberg — das Germanische 
Museum — gegründet, dessen Vorbildersammlung und permanente Aus— 
stellung für Fabrikanten und Kaufleute sehr bedeutend ist. 
Kurze Zeit vorher oder bald nachher wurden ähnliche Anstalten auch 
in Hamburg, Leipzig, Dresden, Karlsruhe, Danzig, Weimar sowie in 
ausländischen Großstädten gegründet. 
Die Kunstindustrie ist schon jetzt, obwohl immer noch in der Ent— 
wicklung begriffen, ein Faktor von großer Wichtigkeit geworden, mit welcher 
jeder Staat rechnen muß. Die moderne Umbildung der Kunstindustrie ist 
eine Tat von weltgeschichtlicher Bedeutung und gehört ohne Frage zu den 
glänzendsten Seiten unserer heutigen Külturentwicklung. Was in dieser 
Richtung seit dem letzten deutsch-französischen Kriege vom deutschen Vater⸗ 
lande in frischem Wetteifer aller beteiligten Kräfte geleistet worden ist, 
ist staunenswert; ja auf keinem Gebiet hat sich die große Epoche unserer 
neueren Geschichte so folgenschwer und fruchtbar erwiesen wie hier: der
	        
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