Das Zeitalter der deutschen Klassiker. 89
zur Aufrechterhaltung der monarchischen Verfassung, andernfalls müßte er
an Frankreich den Krieg erklären. Als Antwort erfolgte am 20. April
1792 die französische Kriegserklärung^. Ihr Eintreffen hatte
Leopold nicht mehr erlebt. Am 1. März 1792 war er ganz unerwartet
gestorben. —
Kapitel 88.
Das Zeitalter der deutschen Klassiker.
§ 1. Mitten im Stnrm und Drang dieser bewegten Zeiten reifte die
deutsche Nationalliteratur goldene Früchte und gab so den Beweis, daß das Deutsch-
tum trotz der unzulänglichen politischen Zustände der einzelnen Vaterländer und
des morschen Baues des alten Reiches geistig erstarkt und selbständig geworden sei.
In der Schule der Franzosen hatte man unter anderem auch gelernt, wie man es
nicht machen müsse, und durch kritisches Suchen und eindringendes Forschen war
man zum Teil nach englischen Mustern von den seither betretenen Irrwegen ge-
suchter Zierlichkeit und Hohlheit oder schulmäßiger Trockenheit und Regelmäßigkeit
ab nnd durch das Studium der alten Kunst und der griechischen und römischen
Klassiker zur Erkenntnis wahrer Dicht- und Darstellungskunst gekommen. Aus
Lernenden waren die Deutschen allmählich Lehrer der andern Völker geworden. —
§ 2. Bahnbrechend waren hier: die „Geschichte der Kunst des Altertums"
(1764) von JoachimWinckelmann (geb. in Stendal 1717), und die Literatur-
uud Kunstbriefe (1759/69) von Gotthold Ephraim Lessing (geb. in Kamenz
1729), sowie ebendesselben Musterdichtungen: „Minna von Barnhelm" (1767);
„Emilia Galötti (1772); „Nathan der Weise" (1779). Ferner die ©hake-
speareübersetzuug^. (1762/68) von Chr. Martin Wieland (geb. in Ober-
holzheim O.-A. LanpheiM 1733, sowie ebendesselben spätere Klassikerübersetzungen
z. B. die des Horaz; die Homerübersetzung (1783) von Johann Heinrich
Voß (geb. im Mecklenburgischen 1751); endlich die Übersetzung einer Reihe fremd-
ländischer Volkslieder, auch „Stimmen der Völker in Liedern" genannt
(1797) von Johann Gottfried Herder (geb. in Mohrnngen 1744). Durch
all das angeregt und durch herrliche Begabung und unermüdlichen Fleiß dazu be-
fähigt, haben uns dann vor allem Goethe und Schiller ihre unvergleichlichen Werke
geschenkt.' Johann Wolfgang Goethe (geb. in Frankfurt a. M. 1749), bis
jetzt der größte Dichter aller Zeiten und Völker, schuf außer seinen
naturwahren Liedern (Gedichten) die Schauspiele „Götz vonBerlichingen" (1773);
1 Tränen im Auge, mußte Ludwig XVI. im Ministerrat noch diesen Krieg
beantragen. An der Spitze des Ministeriums stand der General Dumouriez, der
den Krieg mit Deutschland wollte, weil er für Frankreichs „natürliche Grenzen"
Alpen und Rhein, schwärmte.
2 Sprich: Scheexpier. — Eine zweite Übersetzung dieses größten englischen
Dichters, der Aristophanes und Plautus, sowie Sophokles in sich vereinigte, gab
A. W. Schlegel (geb. 1767) heraus (1797). Übrigens war Wieland auch ein
hervorragender Dichter. Von ihm stammt z. B. „Oberon", ein romantisches
Heldengedicht (1780), für das Wieland von Goethe einen Lorbeerkranz erhielt.
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