Full text: Geschichte der neueren und neuesten Zeit (Theil 3)

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schienen und habe ihm geoffenbart, es solle Johann von Leyden ein König 
sein über den ganzen Erdboden, über alle Kaiser, Könige, Fürsten und 
Gewaltige, er solle ausziehen mit seinem starken Heere und alle Könige 
und Fürsten todten und nur diejenigen verschonen, welche Gerechtigkeit 
lieben." Das ganze Volk staunte über diese neue Weissagung. Johann 
aber sank in die Kniee und sprach: „Schon vor mehren Tagen, liebe 
Brüder, hat mir Gott seinen Willen kund gethan; es war ihm aber nach 
seiner Weisheit gefällig, ihn noch durch ein anderes Werkzeug zu bestä¬ 
tigen. Wohlan denn, du gebeutst, Allmächtiger, und dein Knecht gehorcht!" 
Von dem ganzen Volke wurde nun der Schneider als König begrüßt. 
Sein erstes Geschäft war, die bisherigen zwölf Richter abzusetzen. Dann 
ordnete er sich einen förmlichen Hofstaat mit königlicher Pracht an. Der 
Scharfrichter Knipperdolling wurde sein Minister, BernhardKrechting 
sem Gehmnrath. Acht und zwanzig Trabanten bildeten seine Leibwache. 
Von nun an erschien er stets in königlichem Gepränge, das Scepter in 
der Hand; sein scharlachroter Mantel blitzte von Gold und Juwelen. 
Ihm zur Seite gingen schön geschmückte Edelknaben, die ein Schwert, 
eine Bibel, den Reichsapfel und die Krone trugen. Acht und zwanzig 
Apostel wurden in alle Welt geschickt, seine Lehre und sein Reich und den 
Untergang aller übrigen zu verkündigen. Diese alle aber wurden, statt 
Bürger für das neue Reich zu gewinnen, vom Schwerte der Gerech¬ 
tigkeit erreicht. 
Das Belagerungsheer machte unterdessen nur geringe Fortschritte; 
aber um so verderblicher wüthete der Hunger unter den Aufrührern und 
die Grausamkeit des neuen Königs, der jeden Tag mit Mordthaten be¬ 
zeichnete. Der ärmere Theil des Volkes, welcher schon mit Wurzeln, 
Kräutern, Rinden und Baumblättern sich behelfen mußte, umschwärmte 
mit bleichen, hohläugigen Gesichtern den König, wenn er in seiner Pracht 
und Herrlichkeit durch die Straßen zog, und heulte um Brod. Empört 
durch die Noth des Volkes und die Grausamkeit des Königes, wagte 
einst eine seiner Frauen die freimüthige Aeußerung gegen ihn: „Ich 
kann doch nicht glauben, Johannes, daß unserem Gott mit dem Elende 
gedient ist, das du über diese Stadt gebracht hast." Da schrie Krechting 
laut auf über die verwegene Aeußerung. Der König aber sah sie bloß 
mit einem finsteren Höllenblicke an. Auf dem Markte wollte er ihr ant¬ 
worten. Und sogleich beschied er das Volk dahin. Er selbst erschien mit 
allen seinen Weibern, ließ die Sünderin vortreten, niederknieen und die
	        
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