Menelik, Albanien 29 
wenn der abessinische Schimpf ungerächt bliebe, wäre Tapferkeit und Heldentum 
für uns tot, und Sie hätten Schafherden, nicht Soldaten unter ihrem Befehl, 
Vieh, das sich abschlachten läßt, nicht Kühne, die zu kämpfen und zu siegen ver- 
stehen. (Es würden es ausnützen die auswärtigen Feinde, die kein tapferes und 
geachtetes Italien wollen, wie es Ihr erhabener Vater wollte, und die inneren, 
die den Sturz der Monarchie wünschen. Die afrikanischen Ereignisse sind die 
Folgen der im März eingeleiteten Politik und der demütigenden amtlichen Er¬ 
klärungen — di viltä — Ihres Kriegsministers vor der Kammer. Menelik ist 
nicht unbesiegbar. Er hält sich dafür, weil in der Presse und in der Kammer 
ausgesprochen wurde, daß Ihre Regierung ihn nicht bekämpfen will. Dasselbe 
Unheil zogen wir uns 1866 zu, als durch die schuldvolle Ungeschicklichkeit des 
Admirals ctlbint der österreichische Sieg sich befestigte und Österreich durch unsere 
Untätigkeit eine Seemacht wurde. Ändern Sie die Politik, Majestät! (Es gibt 
Heilung für alles, und, wenn Sie es nur wollen, werden Millionen flrme sich 
um Sie erheben, um ein Barbarentum zu züchtigen, das kein Recht hat, zu be¬ 
stehen, und das eine wahre Schande für die Kultur ist. . . . 
35. Aus den Briefen Über Albanien von Marchese di Sott ©tuliatto.1 
a) Die römischen Traditionen. Durazzo, 26. 3uni 1902. „Italien", 
sagte heute der ITTuffetarif, „ist zu spät nach Albanien gekommen." Das 
mag wahr fein, doch wenn es den guten Willen hat, kann es die verlorene 
Zeit einholen. (Es kann und muß — so dachte ich, während ich zum Kon¬ 
sulat durch eine schmale Gasse zurückkehrte, längs welcher in vielhundert- 
jähriger Unbeweglichkeit Fragmente von römischen Säulen und Kapitalen 
zerstreut liegen. Unsterbliches, immer suggestives Rom! Rus deinen ruhm¬ 
reichen (Erinnerungen kann einschläfernde Rhetorik oder reiche Anregung zu 
schöpferischen Taten quellen. Kraft und Schwäche, Gefahr und heil können 
moderne Völker aus einer großen Vergangenheit schöpfen. 
b) Österreichs italienische Propaganda. Skutari, 29. Juni. Gestern 
wohnte ich ... den Prüfungen im italienischen Kindergarten bei... . 3ch 
verhehle nicht, daß ich gerührt war, als ich bei den ersten, ergreifenden 
Klängen des Königsmarsches die 170 fremden Kinder sich erheben sah und 
sie auf italienisch fingen hörte: „hoch Italien, hoch sein König!" Zu gleicher 
Zeit mochte in den konfessionellen, in Wirklichkeit österreichischen Schulen 
wohl gesungen werden „Gott erhalte Franz den Kaiser, unfern guten Kaiser 
Franz!" Aber, dies verdient hervorgehoben zu werden, auch auf Italienisch. 
Durch seine religiöse Propaganda sorgt (Österreich also aus eigene Kosten 
für die Verbreitung der italienischen Sprache, und diese, als bestes Über¬ 
tragungsmittel für Gedanken und Gefühle, wirkt selbsttätig in dem von 
Österreich beabsichtigten entgegengesetzten Sinne. 
c) Die Bedeutung valonas. valona in Händen einer Italien gleichen 
oder gar überlegenen Macht würde eine noch größere Gefahr bedeuten als 
Biferta, weil es 40 Meilen von den Küsten entfernt und gerade auf der 
Linie des wechselseitigen Verkehrs an dem engen, unvermeidlichen Durchgang 
zwischen den beiden Meeren liegt, welche Italien umgeben. . . . Sollte Gster- 
1 Ital. 1902, deutsch von tOtchmann 1913.
	        
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