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Lander auf die Polen, und durch einen plötzlichen Aufstand in Warschau
gegen den Großfürsten Constantin, den Vicekönig des Landes, entlud sich
der lang angehäufte Zündstoff zuerst am 29. November 1830. Am
Abende dieses verhängnisvollen Tages drangen mehre junge Leute, be-
sonders aus der Militärschule, mit ihren Waffen in den Palast des
Großfürsten und stießen die Wachen nieder; nur mit Mühe rettete sich
Constantin selbst durch die Flucht. Unterdes wuchs der Auflaus; das
Volk stürmte das Zeughaus, holte die Waffen heraus und nahm Rache
an allen, die es für seine Unterdrücker hielt. Dem blutigen Abende
folgte eine schaudervolle Nacht. Polen, welche in der Dunkelheit für
Nüssen angesehen wurden, fanden durch die Hand ihrer eigenen Mit-
bürger den Tod. Erst am folgenden Tage wurde durch das kräftige
Einschreiten der Nationalgarde die Ordnung wieder hergestellt. Man
setzte eine vorläufige Regierung ein, wählte den verdienstvollen General
Chlopicki zum Diktator und schickte eine Gesandtschaft nach Petersburg,
Um dem Kaiser die Lage der Dinge vorzustellen und ihn um die Wieder¬
herstellung des Königreiches Polen innerhalb seiner früheren Grenzen
M bitten. Als diese aber mit der Botschaft zurückkam: „Kein Heil, als
völlige Unterwerfung!" da rüstete sich alles zu einer verzweiflungsvollen
Gegenwehr. Die gemäßigte und bedenkliche Stimmung des Diktators
utißfiel der aufgeregten Menge. Er sah nämlich voraus, daß drei Millio-
uen Mensche», abgeschnitten von aller Hülfe, ohne hinreichendes Ge¬
schütz und sonstiges Kriegsmaterial einem Herrscher von acht und vierzig
Millionen und dem geübtesten, mit Geschützmassen reich versehenen Heere
unmöglich die Spitze würden bieten können; darum legte er am 18. Ja-
uuctr 1831 seine Stelle nieder. Nach ihm übernahm der Fürst Radziwill
den Oberbefehl des Heeres.
Nachdem der Kaiser die Polen unter Zusicherung seiner Gnade ver-
gebend zur Unterwerfung aufgefordert hatte, ließ er am 5. Februar 1831
ein großes Heer unter Diebitsch in das Land einrücken. Doch der Polen
alte Tapferkeit strahlte bei ungleichem Kampfe im verjüngten Glänze.
Am 18., 19. und 20. Februar wurde bei Praga blutig gestritten. Im
Angesichte der Hauptstadt leisteten die Polen den hartnäckigsten Wider-
stand und behaupteten sich fest in ihrer Stellung. Der General Chlo-
Picki, welcher dem Fürsten Radziwill beigeordnet war, leitete mit Kalt¬
blütigkeit im heftigsten Feuer den Angriff. An den beiden folgenden
tigert war Waffenstillstand, um die zahllos gefallenen Opfer zu beer-