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den anderen zu übertreffen suchte. Zu den berühmtesten Ma¬
lern gehörten Xeuxis und Parrhasius. Beide stellten einst
einen Wettkampf in ihrer Kunst an. Teuxis malte Weintrau-
ben, so natürlich, daß die Vögel nach denselben flogen und
daran pickten. Nun brachte auch Parrhasius sein Stück, das
mit einem dünnen Vorhange überzogen war. „Ziehe doch den
Vorhang weg!" sagte Xeuxis. Da lachte Parrhasius; der Vor-
hang war das Gemälde selbst! So täuschte der eine nur Vögel,
der andere aber einen großen Künstler. Ferner malte Xeuxis
einen Knaben, welcher ein Körbchen mit Trauben auf dem Kopfe
trug. Und abermals kamen die Vögel und pickten an den Trau-
ben. Sogleich nahm er das Gemälde weg und sagte beschämt:
„Die Trauben habe ich besser gemalt als den Knaben, sonst
würden sich die Vögel vor diesem wohl gefürchtet haben!"
Wie einzelne Männer, so wetteiferten ganze Städte mit
einander. Die eine wollte noch ausgezeichneter sein, als die
andere. Im stolzen Selbstgefühle ihrer Auszeichnung nannten
sie fast alle Völker, die nicht Griechen waren, mit dem weg-
werfenden Namen Barbaren, d. i. Halbwilde.*)
Jedoch der Stadt Athen konnte es keine andere gleich thun.
Sie war gleichsam die Sonne von Griechenland, deren wohl-
thätige Straten sich von hier nach und nach über die ganze
Erde verbreiteten. Hier war der Hauptsammelplatz aller Künst-
ler und Gelehrten; hier fanden diese vielfache Aufforderung
und Ermunterung, ihr Talent zu entwickeln. In jedem Winkel
der Stadt war Leben und rastlose Thätigkeit vom Morgen bis
an den Abend. Hier übten sich Jünglinge und Männer in
Kampfspielen aller Art, dort strömten sie zu den offenen Hör-
*) Barbar nannten die Griechen und Römer jeden Ausländer, in
so fern er eine fremde Sprache redete. Und weil diese Ausländer meist
auf einer weit niedrigeren Stufe der Bildung standen, so verband man mit
diesem Worte später auch den Begriff der Sittenrohheit und Grausamkeit.
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