Full text: Geschichte des Mittelalters (Teil 2)

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den Fang, schleppten die Jungfrau mit sich nach Ronen an der Seine 
und warfen sie dort in einen Kerker. Mit Mut und Ergebung ertrug 
sie ein ganzes Jahr alle Leiden der Gefangenschaft. Dann wurde sie als 
eine Zauberin, die mit den Geistern der Hölle im geheimen Bunde ge- 
standen habe, dem Gerichte übergeben. Unerschrocken beantwortete sie 
alle ihr vorgelegten Fragen und versicherte, sie habe alles auf göttlichen 
Befehl gethan. Gott selbst und die heilige Jungfrau seien ihr erschienen. 
Darüber wurden die Richter höchst erzürnt; sie erklärten ihre Aussage 
für eine gotteslästerliche Lüge und verurteilten sie als Zauberin zum 
Feuertode. Am 30. Mai 1431 wurde das grausame Urteil auf öffent- 
lichem Markte zu Rouen an ihr vollzogen. Gefaßt bestieg sie, kaum 
19 Jahre alt, den Scheiterhaufen, von einem Geistlichen begleitet, der so 
gerührt und so eifrig im Trösten und Beten war, daß Johanna selbst ihn 
auf die geschehene Anzündnng aufmerksam machen mußte. Dann bat 
sie ihn, wenn er unten sei, ihr das Kruzifix recht hoch zu halten. 
Langsam ward sie darauf zu Asche verbrannt, und diese in die Seine 
geworfen, damit auch keine Spur von ihr zurückbleibe. 
Die Entfernung der Jungfrau führte jedoch das alte Waffenglück 
der Engländer nicht zurück. Selbst Philipp von Burgund verließ die 
Partei der Engländer und verband sich mit Karl. Eine Stadt nach der 
anderen ging für die Engländer verloren. Zuletzt besaßen sie in Frank- 
reich nur noch Calais, welches sie bis ins sechzehnte Jahrhundert 
behaupteten. Die Schlacht von Castillon im Jahre 1453 war der letzte 
Waffengang in diesem langwierigen Kriege, aus welchem sich die Eng- 
länder ohne Friedensschluß auf ihr Jnselreich zurückzogen. Die Fran- 
zosen aber dachten nun mit Sehnsucht und Rührung an den Tod der 
Jungfrau, welche die Rettung des Reiches so glorreich angefangen hatte. 
Der König hob ihre Familie in den Adelstand, sie selbst ward fünf und 
zwanzig Jahre nach ihrer Hinrichtung feierlich für unschuldig erklärt. 
In dankbarer Erinnerung an ihre Verdienste wurden ihr später zu Or¬ 
leans und Rouen Bildsäulen errichtet, und ihre wunderbaren Thaten 
leben bis auf den heutigen Tag in Sagen und Liedern des Volkes fort. 
So hatte Heinrich VI. von England, der schon in der Wiege mit zwei 
Kronen war geHBnTlüDYben, die eine bereits verloren; jetzt nahete die Zeit, 
wo dem Unglücklichen auch die zweite, die Krone des Jnselreiches, sollte 
entrissen werden. Im Jahre 1455 entstand in England nämlich emtn = 
nerer, dreißigjähriger blutigerJfrM zwischen den fürstlichen Häusern 
York und Lancaster, wovon jedes nähere Ansprüche auf den Thron zu
	        
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