Full text: Das Mittelalter (Teil 2)

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dahin, oftmals ganze Strecken des losgerissenen, waldbewachsenen 
Ufergeländes mit sich fortführend. Wogende Seen, weithin gestreckte 
Bruch-, Moor- und Heidegegenden erhöhten die Unwirtlichkeit des 
wasserreichen Landes. Vor allem aber erregten die ungeheuren Ur- 
Wälder, mit denen die germanischen Waldgebirge bedeckt waren, das 
Staunen der Römer. Ein schauriges Dunkel webte zwischen den 
riesigen Stämmen der Buchen. Eichen und Linden, die seit Beginn 
der Welt zu stehen schienen und deren wild verwachsene Kronen dem 
Sonnenlichte den Zutritt wehrten. Wild zerklüftet von den durch- 
und übereinander gewachsenen Riesenwurzeln der Bäume, breitete sich 
in dieser ewigen Waldesnacht der pfadlose Boden aus, auf dem Ge- 
strüpp und Farnkraut wucherte und die Stämme gestürzter Urwald- 
riefen moderten. 
Wald und Wasser, Heide und Moor aber bevölkerte ein mannig- 
faltiges und zahlreiches Tiergeschlecht. Unter den Bäumen des Ur- 
walds hausten noch der Elch und der Ur. im Steingeklüfte brummte der 
Bär, durch Wald und Heide trabte der Wolf, in den Morästen wühlte 
der Eber, aus dem dichten Gezweig der Bäume funkelten die beute- 
gierigen Augen des Luchses. Hirsch und Reh, Fuchs und Hase, Adler 
und Falke, Specht und Drossel und all das Getier, das noch heute 
in unsern deutschen Wäldern haust, belebte auch damals, aber in viel 
größern Massen den Urwald Germaniens. 
Nicht minder zahlreiche und mannigfaltige Fischarten erfüllten die 
Gewässer des Landes, unter ihnen der mächtige Wels und der wohl- 
schmeckende Lachs; an den Ufern der Gewässer tummelten sich die 
Scharen der Sumpfvögel, und das ausgedehnte Wald- und Heideland 
war die Heimat zahlloser Bienenschwärme. Über dem allen aber 
breitete sich fast das ganze Jahr hindurch ein nebelgrauer Himmel aus. 
Allein ganz so wild und trostlos unwirtlich, wie es den süd- 
ländischen Römern erschien, war das germanische Land doch nicht. 
Denn in ihm lebte ein Menschenschlag, der bei aller barbarischen 
Rauheit doch durch seine äußere Erscheinung sowie durch seine Art und 
Sitte die Bewunderung, ja fast den Neid des Römers Tacitus erregte. 
Große, kräftige Körpergestalt, rotblondes Haar, blitzende Blau- 
äugen und weiße Hautfarbe zeichneten die Germanen, Männer und 
Frauen, aus. Einfach war ihre Lebensweise. Als Kleidung 
diente den Männern ein kurzer, ärmelloser Leinenrock, darüber ein 
Loden- oder Pelzmantel. Leinene Hosen oder Beinbinden und lederne 
Bund- oder Riemenschuhe vervollständigten den Anzug. Bei den
	        
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