Zweiter Abschn. Friedrich Wilhelm II. u. erstes Jahrzehnt Friedrich Wilhelmsiii. 275
Jahres 1793 verließ der König sein Heer am Rhein und reiste über
Berlin nach der Weichsel.
Als er in seine Hauptstadt einzog, erklang zum erstenmal das „Heil dir
im Siegerkranz", das seitdem zur preußischen Nationalhymne geworden ist.
b) Der zweite Einfall der Franzosen in die Rheinlande und in
Belgien. Inzwischen fanden die französischen Machthaber Zeit, die aus-
gehobenen Volksmassen wenigstens notdürftig einzuüben. Ganz Frankreich
verwandelte sich in ein Heerlager. Erfüllt von vaterländischer und republi-
kantscher Begeisterung und geführt von jugendlichen Generalen (Hoche,
Jourdan u. a.), die im Falle des Mißlingens die Guillotine zu fürchten
hatten, stürmten die französischen Soldaten ins Feld K Es war das erste
große Volksheer, das Europa seit Jahrhunderten sah. Zwar machten
ihm die wohlgeübten Söldnerheere der Gegner viel zu schaffen, aber im
Laufe des Jahres 1794 kamen Belgien und das ganze linke Rhein-
user in französische Hände. Auch Holland wurde bald darauf von
den Franzosen besetzt (Januar 1795).
c) Preußen schließt den Sonderfrieden von Basel. Da Preußen
noch immer durch die polnische Frage in Anspruch genommen wurde und
seine Geldquellen erschöpft waren, so schloß es mit Frankreich den Sonder-
frieden von Basel. Es trat seine linksrheinischen Besitzungen 1795
vorläufig, d. h. bis zu dem allgemeinen Frieden mit dem Deutschen Reiche,
an die französische Republik ab und erkannte damit den Rhein als „natür-
liehe Grenze" Frankreichs an. Eine Abqrenzunas- sDemarkations-)
Linie schied Deutschland in zwei Hälften: Norddeutschland, das für neutral
erklärt wurde, unb Süddeutschland, wo der Krieg fortdauerte.
Das linke Rheinufer unter französischer Herrschaft. Mit dem Jahre 17941794
begann für das linke Rheinuser eine zwanzigjährige Fremdherrschaft, bis
Uralte deutsche Städte und Landschaften wurden von dem Reiche losgerissen,
dessen Kern sie einst gebildet hatten, und durch die Einführung der französischen
Gesetze und Sitten sowie der französischen Sprache dem deutschen Wesen
entfremdet.
Die Masse der Bevölkerung begrüßte anfangs „die Franken" als Befreier
von brückenden Lasten unb gab ihre Freude burch Errichtung von Freiheitsbäumen
kunb. Aber bie erste Begeisterung würbe balb abgekühlt, als bie Fremdlinge wert-
volle Bücher und Kunst schätze zu rauben beaannen und die französischen
Behörden mit immer neuen Gelbsorberungen und „Requisitionen" für
bie ausgehungerten unb zerlumpten Truppen hervortraten2. Auch bie immer mehr
im Werte sinkenben Assignaten, bie schweren Steuern unb die religiösen
Neuerungen erregten großen Unwillen.
1 Vgl. Goethe, „Hermann und Dorothea" IV 84 ff.
2 Das Treiben der französischen Beamten schildert Goethe a. a. O. VI 44 ff.
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