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ein. Daher regelten und beförderten ehemals eine Menge Kanäle
und Seen die wohlthätigen Wirkungen des befruchtenden Wassers.
Am bedeutendsten unter diesen war der sogenannte Josephs-
kanal längs der westlichen oder lt> bischen Bergkette und der
damit in Verbindung stehende sogen. See Möris (von unge-
heuerm Umfange in der heutigen Provinz Fayum). •
4) Die alten Aegypter (Gypti ober Kypti) — daher wohl
der Name bes ßcmbes1) wie auch ihre Nachkommen noch jetzt
Kopten heißen — zählen zu ber sog. chamitischen oder nord¬
afrikanischen Völkerfamilie, die dem kaukasischen Menschen-
stamme angehört. Vor Beginn aller Geschichte sind sie von Asien
aus in das Nilland eingewandert, und sind dort, durch bie eigen-
thümliche Natur ihres Wohnsitzes angeregt und geleitet, wie es
scheint, früher als irgend ein anderes Volk, zu einer höhern und
höchst eigentümlichen Kulturentwickelung fortgeschritten. Wunder¬
bar und eigentümlich wie das Land entwickelte sich auch der
Charakter und bas Leben seiner Bewohner. Ernst -unb feierlich,
mäßig unb sanft, lebten sie von allem Fremben, bas sie verab¬
scheuten. gern abgeschlossen, unb in erbliche Stänbe ober Kasten
getheilt. Es gab eine Kaste ber Priester, ber Krieger, unb
die Menge ber © ew erb treib en ben, letztere nach ben tnannich-
fachen Berufskreisen in Ackerbauer, Handwerker, Schiffer,
Hirten u. s. w. geschieden. ^ Die Hirten, d. h. wohl^ bie
mehr nomadisirenden als seßhaften Stämme der umgebenden Step-
pen, waren am wenigsten geachtet. Doch erscheint das Kasten¬
thum in Aegypten von weit milderer Form als in Indien, weil
es nicht wie dort aus der Einwanderung verschiedener Stämme,
sondern aus der Natur des Landes, bie eine gewisse Regelmäßig¬
keit in Lebensweise und Beschäftigung forderte, sich entwickelt hat.
Das ägyptische Kastenwesen scheint daher vorzugsweise in der
durch Herkommen und Gesetz geforderten Erblichkeit des Be¬
rufes bestanden zu haben, ohne Ehen zwischen den Kasten aus¬
zuschließen.
5) Die bevorzugte Kaste war die der Priester, die im Be¬
sitze der Kenntnisse und Wissenschaften waren. Nach Verschieden¬
heit der Beschäftigung zerfielen die Priester in besondere Klassen,
bie reichliche Einkünfte von den Tempelgütern bezogen. Sie waren
Sternkundige, Mathematiker, Aerzte, Geschichtschreiber, Baumeister,
Kunstverständige. Ihre Tempelschulen zu Theben, Memphis,
Heliopolis (Dn), Sais, wo sie ihre Weisheit lehrten, waren
l) Anmerk. Der einheimische Name des Aeggypter-Landes war Khaemi,
d. i. sch w arzes Land, von der schwarzen Farbe des angeschlämmten Bodens,
gegenüber der blendend weißen Wüste. Bei den Hebräern hieß es Masor
oder Misrajim, davon das jetzige Misr bei den Türken.