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Alte Geschichte. 1. Periode. Griechen. 
Als man sich noch darüber stritt, kam Laokoon, ein Priester des 
Meergottes Poseidon, herbei. „Wie?" rief er, „ihr wollt das 
Pferd in die Stadt ziehen? Ums Himmels willen nicht! Kennt 
ihr die Griechen so schlecht? Irgend ein Betrug muß dahinter 
stecken. Entweder haben sich Feinde darein versteckt oder sie wollen 
sonst irgend eine Tücke damit ausüben. Weg mit dem Pferde!" 
Bei diesen Worten schleuderte er einen Spieß gegen das Bild, daß 
es durch und durch dröhnte, und wenig fehlte, daß nicht die Tro¬ 
janer die List geahnt hätten. Aber in dem Augenblicke brachte 
man einen griechischen Ueberläuser, der sich von den Trojanern ab¬ 
sichtlich hatte gefangen nehmen lassen; der wußte durch listig ge¬ 
stellte Worte sie zu überreden, das Pferd sei nur gemacht den 
Göttern zu Ehren, um eine glückliche Heimfahrt zu erflehen, und 
die Griechen hätten es absichtlich so groß gezimmert, damit die 
Troer es nicht in die Stadt bringen möchten; denn von seinem 
Besitze hänge die Herrschaft ab. Noch wußte man nicht, ob man 
seinen Worten glauben sollte, als zwei ungeheure Schlangen vom 
Meere herkamen und den Laokoon mit seinen zwei Söhnen um¬ 
schlangen. Von wildem Schmerze gepeinigt, schrieen sie laut auf 
und strebten vergebens, sich loszureißen.*) Das abergläubische 
Volk hielt den unerwarteten Tod Laokoons für eine von den Göttern 
über ihn verhängte Strafe wegen Verletzung des heiligen Pferdes, 
und laut forderte es/ daß es schleunig in die Stadt gezogen werde. 
Jung und Alt, Mann und Weib spannten sich vor, und da die 
Thore zu niedrig waren, wurde die Mauer niedergeworfen, und 
so hielt das unheilbringende Pferd seinen Einzug. Endlich, nach 
zehn Jahren zum ersten Male, überließen sich die Trojaner der 
sorglosen Freude; sie schwelgten bis in die Nacht hinein und legten 
sich dann ermüdet zu Bette. Als nun die Griechen, die in dem 
Pferde verborgen waren, merkten, daß Alles still war, öffneten sie 
die versteckte Thüre, und das Pferd entlud sich seiner unheilbringen¬ 
den Eingeweide. Rasch fielen die Krieger über die Schlafenden 
her und stießen nieder, wen das Schwert erreichte, während die 
übrigen Griechen, die sich indessen der Stadt genähert hatten, zu 
den Thoren her einströmten und Mord und Feuer durch alle Theile 
der Stadt verleiteten. Die königliche Burg wurde gestürmt, und 
*) Ein herrliches Kunstwerk von Marmor, diese Scene vorstellend, ist aus 
dem Alterthume erhalten worden und befindet sich im Belvedere in Rom: Laokoon 
und seine Söhne.
	        
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