Heinrich VI. von England.
289
79. Richard III. von England, 1483. — Maximilian I., 1493. —
Maria von Burgund, 1477.
Es ist betrübend, in der Geschichte noch öfter Beispiele von
schlechter Gesinnung als von Seelengröße erzählen zu müssen,
nicht als ob diese nicht eben so häufig, ja vielleicht noch häufiger
vorkämen als jene, sondern weil das Gute mehr im Verborgenen
geschieht, das Laster aber, wegen seiner Folgen, mehr ans Licht
tritt. So darf auch hier eine höchst tragische Begebenheit nicht
übergangen werden, die sich im Jahre 1483 in England zutrug,
weil sie lehrt, bis zu welchem Grade von Bosheit und Unmensch¬
lichkeit der Mensch kommen kann, wenn er einer heftigen Leiden¬
schaft sich ganz hingiebt.
Bei Gelegenheit der Geschichte der Jungfrau von Orleans
ist oben erzählt worden, daß die Engländer damals große Län¬
dereien in Frankreich besaßen, um die sie mit den Franzosen lange
und blutige Kriege führten; ferner, daß ein kleiner Knabe von
9 Monaten, Heinrich VI., damals König von England geworden
sei (1422—71). Dies Kind war recht zu seinem Unglücke auf den
Thron gekommen. In seiner Kindheit wurde er von seinen Ohei¬
men regiert; als er selbst regieren konnte, zeigte er wenig Verstand
und benahm sich so wenig umsichtig, daß er sich überall lächerlich
machte. Zum Glück hatte er eine sehr kluge und wohldenkende
Frau, Margaretha von Anjou, die für ihn dachte und han¬
delte ; aber dennoch war man unzufrieden, weil die Engländer
einen Mann und keine Frau zum Könige haben wollten. Dazu
kam, daß der Krieg mit den Franzosen sür die Engländer sehr
unglücklich geführt wurde, daß diese eine Besitzung nach der andern
verloren und ihnen zuletzt in Frankreich fast nichts als die Stadt
Calais übrigblieb. Aber das größte Unglück traf Heinrich im
Alter. Es trat nämlich ein Seitenverwandter, der Herzog von
Jork, auf, und erklärte, seine Familie habe ein näheres Recht
auf den Thron. Allerdings hatte die Sache etwas für sich. Da¬
rüber entstand nun zwischen dem Hause Lancaster (sprich Länkster)
dem der König angehörte, und dem Hause Jork ein Krieg, den
man auch den Krieg der rothen und weißen Rose nennt,
weil jenes Haus eine rothe, dieses eine weiße Rose im Wappen
führte. Dieser Krieg dauerte 18 Jahre. Die kluge Margaretha
bot zwar alles auf, um ihren elenden Mann auf dem Throne zu
Weltgeschichte für Töchter. II. 16. Stuft. 19