Full text: Die Geschichte der neuern Zeit (Bd. 3)

106. Napoleon's Feldzug gegen Rußland, 1812, 689 
106. Napoleon's Mktzug gegen Rußland, 1812. 
(Nach Ludwig Häusser, Deutsche Geschichte seitdem Tode Friedrtch's des Großen, 
Theodor von Bernhardt, Geschichte Rußlands, und Andern, bearbeitet 
vom Herausgeber.) 
Die Freundschaft von Tilsit war seit 1809 etwas erkaltet. Schon der 
Friede von Wien hatte den Zaren peinlich berührt, indem er darauf gerechnet 
hatte, daß Galizien, wenn Oesterreich es verlieren sollte, nicht anders als 
russisch werde, während nun das ihm unheimliche Herzogthum Warschau 
(das Bollwerk gegen Rußland) eine neue ansehnliche Vermehrung (siehe 
S. 660) erhalten hatte, Rußland aber durch die Abtretung Bialystocks noth; 
dürftig abgefunden worden war. Eine zweite unangenehme Ueberrafchung 
für den Zaren war der plötzliche Abbruch der Unterhandlungen wegen der 
Vermählung Napoleon's mit einer der Schwestern Alexander's; er sah darin 
schon den ersten Schritt zur Lösung der Allianz von Erfurt. Bald fand 
man auch die Nachtheile, die der Handel und die Finanzen Rußlands durch 
die Eontinentalsperre erlitten, unerträglich, und ein neues Zollsystem ließ 
die Einfuhr der Eolonialwaaren unter neutraler Flagge zu, prohibirte dagegen 
mehrere wichtige französische Handelsartikel und legte auf den Wein einen 
hohen Einfuhrzoll. Endlich mußte der Petersburger Hof noch eine dritte 
Ueberrafchung erleben durch die plötzliche Vertreibung des Herzogs von 
Oldenburg (siehe S. 687), worin der Zar eine absichtliche Kränkung des 
Kaiserhauses erblickte, wie Napoleon in dem neuen Zolltarif einen Abfall vom 
Eontinentalsystem. Auf beiden Seiten warf man sich feindselige Schritte 
vor, wenn auch jeder der beiden Verbündeten fortfuhr, seine Friedensliebe 
zu betheuern. Beide Theile sahen sich nach Verbündeten um. Rußland 
konnte auf die Völker zählen, welche Napoleon im Rücken ließ, wenn er 
den Niemen überschritt, während Alexander einen großen Vortheil darin 
hatte, daß er beim Kriege ruhige Gebiete hinter sich ließ. Auf Napoleon 
aber machten selbst die Warnungen seines Bruders Hieronymus keinen 
Eindruck. Wenn er nur der Regierungen sicher war, so machte ihm die 
Verzweiflung der Völker keine Sorge. Der Rheinbund mußte ihm ein 
Kontingent von 100,000 Mann stellen, Oesterreich, welches die russischen 
Vergrößerungen auf Kosten der Pforte nicht gleichgültig ansehen konnte und 
daher ein natürliches Interesse am Kampfe gegen Rußland hatte, ward 
rasch und leicht gewonnen. Der bisherige Gesandte in Paris, Graf Metter¬ 
nich, welcher eben Minister geworden war, schloß, gegen das Versprechen 
einer territorialen Vergrößerung (etwa durch das 1809 abgetretene Jllyrien) 
im Falle des Sieges, fein Bündniß mit dem neuen Schwiegersöhne des 
Kaisers und stellte zu der großen Armee 40,000 Mann unter General Graf 
Schwarzenberg. Preußen entschloß sich, nach längerem Schwanken zwischen 
Pütz, Histor. Darstell, u. Charakteristiken. IU. 2. Aufl. 44
	        
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