Full text: [Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.]] (Teil 5 = Kl. 3, 2 u. 1, [Schülerbd.])

7. Chinesischer Cee und seine Metropole. 
Von Ernst von HeNe-Marlegg. 
Velhagen & Klasings Monatshefte. 10. Jahrg. (1895/96.) I. Band. 8. 380. 
1. 
Tee wird in China hauptsächlich im Stromgebiet des mächtigen 
¿LJ Jangtsekiang gebaut. Bei Ningpo, einem der den Europäern geöff¬ 
neten Häfen, gedeiht er am besten, und dort war es auch eine meiner 
ersten Unternehmungen, die Teepflanzungen der Umgebung zu besuchen. — 
Es war Anfang Mai des Jahres 1894, und wie bei uns, so ist dieser 
Monat auch in China der schönste. In den kleinen Reisfeldern unten am 
Flusse prangten die kleinen Pflänzlein im herrlichsten Grün; weiter oben 
am Fuße der Berghänge stand das Getreide schon kniehoch, vermengt mit 
Mohnblumen und rotblühendem Klee; und die Berge bis hinauf zu den 
Gipfeln zeigten den wunderbarsten Azaleenschmnck. Hier und da, in der 
Umgebung der weitverstreuten kleinen Bauernhöfe, erhoben sich Gruppen 
mächtiger Weiden- und Kampferbäume mit ihren dunkelgrünen, buschigen 
Kronen. Dickstümmige Wistarias, diese schönsten und beharrlichsten aller 
Schlingpflanzen, wanden sich den Baumstämmen entlang, ihre Zweige um¬ 
klammerten die Zweige der Bäume, und zwischen deren Laub prangten 
ihre lila Blütentrauben in ungezählten, erdrückenden Massen. 
Der Gesang von Amseln und Drosseln erfüllte die Luft ganz so wie 
bei uns, und die warme Frühlingssonne beschien ein so herrliches Land¬ 
schaftsbild, wie ich es in China gar nicht erwartet hätte. Ihre Strahlen 
spiegelten sich tausendfach in den scharf umgrenzten Wasserflächen der 
kleinen Reisfelder wider und glitzerten in dem Fluß, dessen Ufer den 
üppigsten Pflanzenwuchs zeigten. In den kleinen, von wohlgepflegten 
Gemüsegärten umgebenen Dörfchen und Höfen, die ich auf meiner Wan¬ 
derung passierte, zeigten sich nur wenige Menschen. Die ganze Bevölkerung 
war draußen in den Feldern bei der Arbeit. 
Nach etwa zweistündigem Marsch erreichte ich ein größeres Dorf, und 
jenseits desselben zogen sich auf weite Strecken die ersten Teepflanzungen 
hin, durchwegs kleine Felder mit den eigentümlichen, hagedornartigen Tee¬ 
sträuchern bedeckt. Man war eben an der ersten Ernte, und auf dem 
Wege hinauf begegnete ich zahlreichen Landleuten, welche, meinen Gruß 
mit freundlichem Tschin-tschin erwidernd, die frischgepflückten Blättchen in 
großen Körben heimtrugen. — Männer, Frauen und Kinder waren alle 
gleich gekleidet. Sie trugen ein dunkelblaues, loses Baumwollhemd mit 
weiten Ärmeln und ebensolche Beinkleider, die bis etwa unter die Knie 
reichten. Die Männer hatten auf ihren mehrfach um die Schädel ge¬ 
wundenen Haarzöpfen große Strohhüte sitzen, Frauen und Mädchen aber 
trugen ihr üppiges schwarzes Haar sorgfältig gekämmt und mit frischen 
Blumen geschmückt. Hier war es auch, wo ich zum ersten Male wirklich 
Lesebuch für Mädchen-Mittelschulen. V. Hansestädte. 25
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.