Full text: Von der französischen Staatsumwälzung bis zur Gegenwart (Teil 6)

— 5 — 
über die Mittel verhandeln, um der Not des Staates zu steuern. 
Ludwig befolgte den Rat. 
Es war nach einem Jahre voll Dürre, Mißwachs und Hungers- 
not, als am 5. Mai der König die Versammlung der Reichs- -« 70Q 
stände in Versailles eröffnete; über zwölfhundert ^ ' öi/ 
Abgeordnete, doppelt so viele des „dritten Standes" wie der beiden 
anderen Stände, waren an dem Schicksalstage von Frankreich im 
Schlosse Ludwigs XIV. erschienen. Der vom Bürgertum gewählte 
Abb6, d. h. Geistliche, S i e y b § ^SjejäU, der in einer kühnen 
Flugschrift: „Qu'est ce que le tiers 6tat?" den dritten Stand als 
das eigentliche Volk bezeichnet hatte, beantragte, es solle nicht nach 
Ständen, sondern nach Köpfen abgestimmt werden, damit der dritte 
Stand nicht überstimmt würde. Als die „privilegierten Stände" 
diese Forderung ablehnten, erklärte sich der dritte Stand nach dem 
Vorschlage eines anderen Mitgliedes, des provenzalischen Grafen 
Mirabeau, zur Nationalversammlung (Assemblee 
nationale). 
Vergebens befahl der König eine getrennte Beratung der 
Stände und ließ den Sitzungssaal schließen; die bürgerlichen Ab- 
geordneten begaben sich in das Ballspielhaus des Hofes und schwuren, 
nicht eher auseinanderzugehen, als bis sie dem Lande eine Kon- 
stitution oder Verfassung, d.h. gesetzliche Staatseinrichtung, 
gegeben hätten. Ein Abgesandter des Königs forderte die Versamm- 
lung auf, sich zu entfernen. „Nous sommes ici par la volonte du 
peuple!" schrie Mirabeau den Höfling an. Der schwache König er- 
schrak und wies ratlos den Adel und die Geistlichkeit an, sich mit dem 
dritten Stande zu vereinigen. Sie taten es, und das Spiel des 
Königtums war verloren. 
§ «. Bastille und Pöbel. Inzwischen steigerte sich in der Haupt- 
stadt Paris, die etwa 800 000 Einwohner hatte, von Tag zu Tag die 
Erregung; der Ausbruch einer Teuerung, die von Feinden des Hofes 
künstlich genährt wurde, steigerte sie. Schon begann der Pöbel sich 
zusammenzurotten und Läden zu stürmen. Als nun gar der Hof zu 
seiner Sicherheit ein Heer von 50 000 Mann um Versailles vereinigte 
und die Kunde sich verbreitete, daß der volkstümliche Necker in Un- 
gnaden entlassen sei, schlug der Aufruhr in hellen Flammen empor. 
Am 14. Juli erklangen die Sturmglocken; tobende Volkshaufen 
versahen sich in den erbrochenen Zeughäusern mit Waffen und er- 
stürmten die B a st i l l e , ein düsteres Staatsgefängnis, in dem 
schon oft willkürlich Verhaftete hatten schmachten müssen. Man 
glaubte ihre Verließe angefüllt mit Gefangenen des Hofes, doch 
nur wenige Eingekerkerte fanden sich vor. Die schwache Besatzung 
wurde niedergemetzelt, die verhaßte Zwingburg dem Erdboden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.