284 Volksbildung unö Volkscharakter. Bauern und Bürger. §§ 426—427.
begegnete. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts kamen die Hexenprozesse
auf, die protestantische und katholische Länder in gleicher Weise heimsuchten
und verwüsteten"). Kein Alter, kein Geschlecht, kein Stand schützte vor der
Verfolgung; Ratsherren und Gelehrte, Kinder und Greise endeten am
Pfahle; am meisten aber ward gegen die Frauen gewütet. Unzählig sind
die Opfer, die in den Flammen endeten; sie reichen in die Hunderttausende.
Durch das 16. und das ganze 17. Jahrhundert gehen die wüsten Greuel:
erst das Zeitalter Friedrichs des Großen beseitigte in Deutschland die
Hexenprozesse. Die Folter, besonders seit Karls Y. „hochnotpeinlicher
Halsgerichtsordnung" und dem gleichzeitigen „Hexenhammer" (malleus
maleficarum) in Deutschland üblich, ward mit barbarischer Erfindungskraft
gehandhabt, und die ausgesuchtesten Martern erpreßten die Geständnisse, die
man wollte. — Noch bewegte sich das Leben in den gläubigen Formen der
Kirche: gerade in den Jahren des 30jährigen Krieges erklangen die frommen
Lieder P-aul Gerhardts und Johann Hermanns und trösteten das Volk
in seiner schweren Leidenszeit. Aber in den vornehmen Kreisen entstand
Lauheit gegen die Religion, die so manchem Verbrechen hatte zum Deck-
mantel dienen müssen; Übertritte vom Luthertum zum Katholizismus wurden
häufig. In allen Ständen aber ging selbst neben der kirchlichen Recht-
Müdigkeit eine unglaubliche Roheit, Dumpfheit und Härte des Gemüts
her: überall merkt man die Rückwirkung der Kriegsgreuel. So klagt ein
anderer Dichter des 17. Jahrhunderts, Rist:
Ach! Lieb' und Treu ist hin, die Gottesfurcht erkaltet,
Der Glaub' ist abgethan, Beständigkeit veraltet,
und Log au sagt in einem Sinngedicht:
Luthrisch, Päbstisch und Calvinisch, diese Glauben alle drey
Sind vorhanden: doch ist Zweiffel, wo das Christentum dann sey.
Was die Vergangenheit Herrliches gehabt hatte an deutscher Größe im
Leben und im Dichten, das schien bis auf die Erinnerung erloschen: ein
Glück, daß wenigstens die Reformation nicht vergessen werden konnte. Sonst
mußte in sehr vielen Stücken das deutsche Volk sein Leben von vorn beginnen.
3. Kauern und üürger.
§ 427. Der Bauernstand, den wir bei Beginn der Reformation
in Süd- und Mitteldeutschland so trotzig gegen seine Bedrücker sich erheben
sahen (§§ 346 ff.), war zwar im Bauernkriege niedergeworfen worden,
aber dann allmählich wieder erstarkt. Es lag im Interesse von Fürsten und
Herren, ihn als den zahlenden, den Nährstand, zu schonen, und außerdem
brachte der lange Friede in dem doch immerhin fruchtbaren Deutschland
auch ihm seinen Segen. So war der Bauer, wenn ihn auch Abhängig-
feit und Leibeigenschaft schwer drückten, ziemlich wohlhabend und nicht'
allzu ungebildet; von der protestantischen Schul- und Kirchenzucht wurde er
im ganzen heilsam beeinflußt. Er hatte seinen hübschen Hausrat, seine Spar-
Pfennige in der Truhe, reichliches Vieh auf der Weide und im Stall. Da
kam der Krieg und vernichtete alles: denn mit seiner Hauptschwere fiel er,
wie schon gezeigt ist, auf den Bauernstand. Die Dörfer lagen in Asche,
der Viehstand ging ein, das Feld verwuchs und ward stellenweis wieder zu
Wald, die Leichen blieben unbegraben, die Dorshunde rotteten sich zusammen
*) G. Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit. II, 2: Aus dem Jahrhundert
der Reformation. 11.