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Dritter Teil. Unser Vaterland. 
So wie deutsche Tatkraft seit einem Menschenalter, ausgerüstet 
mit ernstem willen und wissen, sich erfolgreich hinausgewagt hat 
in die fernsten Meere, so wird auch das Deutsche Reich im Reigen 
der Weltmächte seine Stellung behaupten, wenn das deutsche Volk, 
und vor allem die deutsche Jugend bewußt und willenskrästig, ernst¬ 
gerecht und stolz-bescheiden die vaterländischen Pflichten erfaßt und 
erfüllt. Gustav Maier, Das Deutsche Reich im Zeitalter der Weltmächte 
in „Schaffen und Schauen". 
192. Mahnung. 
<Es war nur etwas, was — ich kann es nicht leugnen — mich 
in den letzten zwanzig Jahren ununterbrochen gequält und beunruhigt 
hat, diese Analogie unserer deutschen Geschichte mit unserer deutschen 
Göttersage. Ich habe unter dem Begriff „Völkerfrühling" mehr ver¬ 
standen als die Rolonialpolitik, ich habe meine Auffassung — ich 
will nicht sagen: so niedrig — aber so kurz in Zeit und Raum nicht 
gegriffen. Ich habe unter dem Frühling, der uns Deutschen geblüht 
hat, die ganze Zeit verstanden, in der sich — ich kann wohl sagen 
-- Gottes Segen über Deutschlands Politik seit 1866 ausgeschüttet hat, 
eine Periode, die begann mit einem bedauerlichen Bruderkriege, der 
unentbehrlich war, der überstanden wurde, und zwar ohne die Rach- 
wehen, die man davon zu befürchten hatte. Die Begeisterung für 
den nationalen Gedanken war im Süden wie im Norden so groß, 
daß die Überzeugung, daß diese — ich möchte sagen — „chirurgische 
Operation" zur Heilung der alten deutschen Erbkrankheiten notwendig 
war . . . Sobald sie sich Bahn brach, war auch aller Groll vergessen, 
und wir konnten schon im Jahre 1870 uns überzeugen, daß das Gefühl 
der nationalen Einheit durch das Andenken dieses Bruderkrieges nicht 
gestört war, und daß wir alle als „ein einig Volk von Brüdern" 
den Angriffen des Auslandes entgegentreten konnten. 
Das schwebte mir als „Völkerfrühling" vor, daß wir darauf die 
alten deutschen Grenzländer wiedergewannen, die nationale Einheit 
des Reiches begründeten, einen Deutschen Reichstag um uns versammelt 
sahen, den Deutschen Raiser wieder erstehen sahen, das alles schwebte 
mir als „Völkerfrühling" vor. 
Dieser Völkerfrühling hielt nur wenig Jahre nach dem großen 
Siege vor. Ich weiß nicht, ob der Milliardensegen schon erstickend 
auf ihn gewirkt hat. Aber dann kam, was ich unter dem Begriff 
„Loki" verstand: der alte deutsche Erbfeind, der parteihader, der in 
dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und 
m Fraktionskämpfen seine Nahrung findet — der übertrug sich auf 
unser öffentliches Leben, auf unsere Parlamente, und wir sind an¬ 
gekommen in einem Zustand unseres öffentlichen Lebens, wo die 
Regierungen zwar treu zusammenhalten, im Deutschen Reichstage aber 
der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und gehofft hatte, nicht 
zu finden ist, sondern der Parteigeist uns überwuchert und der
	        
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