404
Dritter Teil. Unser Vaterland.
So wie deutsche Tatkraft seit einem Menschenalter, ausgerüstet
mit ernstem willen und wissen, sich erfolgreich hinausgewagt hat
in die fernsten Meere, so wird auch das Deutsche Reich im Reigen
der Weltmächte seine Stellung behaupten, wenn das deutsche Volk,
und vor allem die deutsche Jugend bewußt und willenskrästig, ernst¬
gerecht und stolz-bescheiden die vaterländischen Pflichten erfaßt und
erfüllt. Gustav Maier, Das Deutsche Reich im Zeitalter der Weltmächte
in „Schaffen und Schauen".
192. Mahnung.
<Es war nur etwas, was — ich kann es nicht leugnen — mich
in den letzten zwanzig Jahren ununterbrochen gequält und beunruhigt
hat, diese Analogie unserer deutschen Geschichte mit unserer deutschen
Göttersage. Ich habe unter dem Begriff „Völkerfrühling" mehr ver¬
standen als die Rolonialpolitik, ich habe meine Auffassung — ich
will nicht sagen: so niedrig — aber so kurz in Zeit und Raum nicht
gegriffen. Ich habe unter dem Frühling, der uns Deutschen geblüht
hat, die ganze Zeit verstanden, in der sich — ich kann wohl sagen
-- Gottes Segen über Deutschlands Politik seit 1866 ausgeschüttet hat,
eine Periode, die begann mit einem bedauerlichen Bruderkriege, der
unentbehrlich war, der überstanden wurde, und zwar ohne die Rach-
wehen, die man davon zu befürchten hatte. Die Begeisterung für
den nationalen Gedanken war im Süden wie im Norden so groß,
daß die Überzeugung, daß diese — ich möchte sagen — „chirurgische
Operation" zur Heilung der alten deutschen Erbkrankheiten notwendig
war . . . Sobald sie sich Bahn brach, war auch aller Groll vergessen,
und wir konnten schon im Jahre 1870 uns überzeugen, daß das Gefühl
der nationalen Einheit durch das Andenken dieses Bruderkrieges nicht
gestört war, und daß wir alle als „ein einig Volk von Brüdern"
den Angriffen des Auslandes entgegentreten konnten.
Das schwebte mir als „Völkerfrühling" vor, daß wir darauf die
alten deutschen Grenzländer wiedergewannen, die nationale Einheit
des Reiches begründeten, einen Deutschen Reichstag um uns versammelt
sahen, den Deutschen Raiser wieder erstehen sahen, das alles schwebte
mir als „Völkerfrühling" vor.
Dieser Völkerfrühling hielt nur wenig Jahre nach dem großen
Siege vor. Ich weiß nicht, ob der Milliardensegen schon erstickend
auf ihn gewirkt hat. Aber dann kam, was ich unter dem Begriff
„Loki" verstand: der alte deutsche Erbfeind, der parteihader, der in
dynastischen und in konfessionellen, in Stammesverschiedenheiten und
m Fraktionskämpfen seine Nahrung findet — der übertrug sich auf
unser öffentliches Leben, auf unsere Parlamente, und wir sind an¬
gekommen in einem Zustand unseres öffentlichen Lebens, wo die
Regierungen zwar treu zusammenhalten, im Deutschen Reichstage aber
der Hort der Einheit, den ich darin gesucht und gehofft hatte, nicht
zu finden ist, sondern der Parteigeist uns überwuchert und der