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und eingefaßt, Reihen anmutiger Standbilder zierten die Seiten-
Eingänge; in der französischen Revolution wurden am Münster-
Erwins in zwei Tagen 235 steinerne Figuren zerstört! An Dach
und Strebebogen haften die mitunter höchst phantastischen „Wasser-
speier"; kleine Auswüchse, die „Nasen", „Krabben", „Knollen ,
scheinen am Dach, an den Turmhelmen und Fialen emporzn-
kriechen; den Chor umschließt ein förmlicher Wald von Türmchen
und Figuren.
Im Innern tragen mächtige Pfeiler mit vorgelagerten
„Diensten^ die Gewölbegurten, welche kreuz- und später netz-
förmig im Schlußstein münden; Pfeilerstellungen beleben die
Wände, Holzschnitzereien die Chorstühle und Orgeln; Kanzeln,
Altäre sind durch Reliefs und Gemälde geschmückt.
So sind diese Dome und nicht minder die Rathäuser Ehren-
male für Gemeinsinn und Gottesfurcht jenes Geschlechtes. „Für
der lieben Frauen Bau" verpfändeten die Bürger in Freiburg
manchmal ihre Häuser und widmeten regelmäßig das beste Klei-
dungsstück ans dem Nachlaß eines Angehörigen.
5. Obgleich ans Frankreich kommend, entstammte diese Bau-
art dock dem deutschen Geiste, der im ehemaligen Frankenvolke
noch nicht erloschen war. Auf deutschem Boden ist sie der
höchsten Vollendung zugeführt worden. Deutsche Meister haben
bie Kathedrale in Bnrgos imb den Marmordom zu Mailand
geschaffen, und die Italiener bezeichneten die fremde Bauweise,
die über bie Alpen zu ihnen kam wie bie Helbenscharen Theo¬
berichs, als den Gotischen Stil.
Freilich wurde mancher Dombau unterbrochen durch den
Eintritt einer neuen Zeit, deren Sinn anf andere Ziele stand.
Später ging das Verständnis für die Gotik^ völlig verloren, bis
der jugendliche Wolfgang Göthe am '^traßburger Münster 1770
bie Gesetze ihrer Schönheit wieber entbeckte und den Zeitgenossen
das Geheimnis und den Ruhm Erwins in glühender Begeisterung
verkündete. Unser Jahrhundert hat den Ausbau unvollendeter
Gotteshäuser begonnen: ben Dom zu Regensburg hat König Lud¬
wig I. von Bayern, den zu Köln Kaiser Wilhelm I. eingeweiht;
mit der „Kreuzblume" des Ulmer Münsters ist vor kurzem die
höchste Steiuspitze Europas gekrönt worden.
5. Die Konstanzer Kirchenversammlung und der
Hnssitenkrieg.
1. Die „babylonische Gefangenschaft" der Päpste in Avignon
führte schließlich zu einer Kirchenspaltung. Ein Papst
wohnte in Rom, einer in Avignon, einer den anderen verfluchend;