26 Theoderich d. Große. Rundblick. Neue Zustände d. Germanen. § 34—35.
Kriegsglück, bis zuletzt Theoderich, von Westgothen aus Gallien unterstützt, den
Odoaker abermals an der Adda schlug, und nach dreijähriger Belagerung (493)-
Ravenna eroberte. Odoaker, der sich auf Vertrag ergeben, ward bald darauf
mit seinen Blutsfreunden erschlagen. Nun legte Theoderich sein gothisches Ge-
wand ab, nahm den römischen Purpur an und gebot von Ravenna aus über
Italien. Sein Ziel ging darauf hin, römische und gothische Weise zu verschmel¬
zen und die verwüsteten Länder wieder emporzubringen. Schon Odoaker hatte
in die menschenleeren Gegenden von den Alpen bis zur Donau Germanen ge-
zogen; Theoderich folgte ihm in diesem Verfahren, aber setzte dem hier neuent-
stehenden Volke, in welchem Reste der ehemaligen Heruler, Skiren mit den alten
Markomannen verbunden waren, einen Herzog, der von ihm abhängig war.
Man nannte dies Volk, das im alten Bojerlande wohnte, Bojoarier oder
Baiern: sie zählen fortan als ein neuer deutscher Stamm.
§ 35. Obwohl Theoderichs des Großen Regierung und Charakter nicht
ohne Flecken war, wie später z. B. auch die Hinrichtung des edlen Boethius
bewies, herrschte er doch über Italien mit großer Weisheit und Gerechtigkeit,
so daß selbst die römische Bevölkerung seine Zeit alseine goldene pries (489—526).
Das befreundete, dem Schein nach sogar abhängige Verhältniß zu Ostrom be-
hielt er bei. Aber allen germanischen Völkern galt er als der größte und ge-
waltigste ihrer Heerkönige, sein Rath ward fernehin gefordert und gehört, und
als gerade während seiner Regierung Chlodwig mit seinen Franken Gallien
unterwarf, fanden Alamannen, Westgothen und Burgunden einen Rückhalt in
ihm, der sie vor völliger Unterwerfung schützte. So durfte er, wenngleich nur
vorübergehend, daran denken, alle Germanen gleichsam in einen großen Staa¬
tenbund zu vereinen. Und gerade damals hatten die Waffen derselben die wei-
testen Ziele erreicht, die ihnen gesteckt waren.
Ueberblicken wir kurz die Umgestaltung des alten Römerreichs. In seinem
Hauptsitz, Italien, hatten die Ostgothen sich niedergelassen, ihre Herrschaft ging
von der Rhone und Donau bis zur Südspitze Siciliens; in Nordafrika, in
Sardinien und Corsika, wie auf dem Mittelmeere geboten die Vandalen;
in Spanien die Westgothen, neben denen im Nordwesten der Halbinsel noch
Sueben selbstständig saßen. Ueber Gallien hatten gerade damals (siehe nn-
ten) die Franken sich ausgebreitet, deren Herrschaft bis über den Rhein reichte.
Neben ihnen saßen im Südosten des Landes an der Rhone und in der heuti-
gen Schweiz die Burgunden, deren frühere Herrschaft um Worms 435 und
437 unter König Gundahar von Römern und Hunnen zerstört worden war,
— eine Begebenheit, deren blutiges Angedenken im Heldenlieds fortlebte — und
deren Reste dann in jene Gegenden übergesiedelt waren. Britannien gehorchte
den Angelsachsen. Die skandinavischen Völker waren gleichfalls Germanen
und ihren südlichen Brüdern in Sprache, Recht und Sitten nahe verwandt.
Im Innern des eigentlichen Deutschlands waren die Sachsen,^ die Thüringer
und die Alamannen im Ganzen an den alten Stellen geblieben (§ 24). Nur
der Osten hatte ein anderes Ansehen gewonnen, denn das Land östlich der Elbe
gehörte nicht mehr Deutschen, sondern Slaven. Südlich zwischen Donau und
Alpen aber saß der neue Stamm der Baiern, weiter die Donau hinab saßen
auf dem rechten Ufer die Heruler, auf dem linken, gegen die Karpathen hin,
die Gepiden, sämmtlich germanische Stämme. Vom Norden her näherten sich
allmählich der Donau die Langobarden (§ 9) und weilten damals gerade in
dem heutigen Mähren. So war also die ganze westliche Hälfte unseres Erd-
theils germanischer Herrschaft unterthan; diese war an die Stelle der römi¬
schen Weltmacht getreten, die nur noch im Osten (Griechenland, Kleinasien.