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IV. Das Zeitalter Friedrichs des Großen.
Durch das sog. Haager Konzert waren 1710 die deutschen Besitzungen
der Krone Schweden für neutral erklärt worden, aber da Karl XII. hier¬
gegen protestiert hatte, wurden sie jetzt der Schauplatz des Krieges, in den
nun alle an dem genannten Vertrage beteiligten Mächte, außer Rußland,
Sachsen-Polen, Dänemark also auch Preußen und England-Hannover,
eingriffen. Die Dänen eroberten die Stifter Bremen und Verden, und
Friedrich Wilhelm I. besetzte nach einem Vertrage mit Rußland 1713
Stettin. Im Jahre 1714 kehrte Karl XII. auf seinem berühmten Ritt
durch Mitteleuropa nach Stralsund zurück und leitete die Verteidigung.
Als die Preußen unter der Führung Leopolds von Dessau, wie einst die
Brandenburger unter dem Großen Kurfürsten, in Rügen landeten und die
Insel eroberten, mußte er 1715 Stralsund aufgeben, kehrte nach Schweden
zurück und eröffnete von hier aus den Krieg gegen das dänische Norwegen.
1718 fiel er in den Laufgräben vor Frederikshald. Seine Schwester und
Nachfolgerin Ulrike Eleonore verzichtete 1719 auf Bremen und Verden,
das König Georg I. von England den Dänen abgekauft hatte, und trat
1720 im Frieden von Stockholm Vorpommern bis zur Peeue mit
Stettin und die Inseln Usedom und Wollin an Preußen ab. Indem
Frieden zu Nystad verlor Schweden Livland, Estland und Jngerman-
land sowie die dazu gehörigen Inseln an Rußland. Schweden war da-
mit zu einer Macht zweiten Ranges herabgesunken und Rußland an seine
Stelle unter den europäischen Mächten getreten.
IV. Das Zeitalter Friedrichs des Großen.
§ 145. Die europäischen Staaten nach dem Frieden von Utrecht.
1. Im Spanischen Erbfolgekriege war England die erste Seemacht in
Europa geworden. Wenn auch der holländische Kaufmann noch eine wich-
tige Stelle im Welthandel einnahm, so konnte sich doch die Flotte der
Republik der Vereinigten Niederlande nicht mehr mit der des benachbarten
Jnselreiches messen. Hier trat im Jahre 1714 ein wichtiger Thronwechsel ein.
Nach dem Tode der Königin Anna, der Tochter Jakobs II., ging die Krone
an Georg I., Kurfürsten von Hannover, über. Ihm folgte 1727 Georg II.
Dadurch wurden die Stuarts endgültig von der Regierung ausgeschlossen.
2. Frankreich. Das reiche Land erholte sich schnell von den
Wunden, die der Spanische Erbsolgekrieg seinem Wohlstand geschlagen hatte.
Paris galt wieder als Mittelpunkt des guten Geschmacks, französische
Moden und Sitten wurden überall nachgeahmt. Die Literatur des geist-
vollen Volkes fand in ganz Europa Eingang, auch in Rußland drang sie
damals ein. Voltaire wurde unbestritten als der erste .unter den lebenden
Schriftstellern gefeiert. Sein Einfluß auf die Bildung seiner Zeitgenossen
reichte weit über die Grenzen seines Vaterlandes hinaus. Auf Ludwig XIV.
folgte im Jahre 1715 sein erst fünfjähriger Urenkel Ludwig XV., unter
dessen Regierung Frankreich noch eine sehr wertvolle Erwerbung machte.
Noch immer bestimmte der Gegensatz gegen das Haus Habsburg die
französische Politik, die ihren Zwecken Stanislaus Leszczynski dienst-