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Mittelalter. — Dritter Zeitraum
1176
Als Heinrich abfällt, jauchzt Mil an o I;
Der Kaiser flüchtet von Lignano.
23.
Das hat ihm höh're Hand beschieben; —
Drum suchet Friederich den Frieden.
Er beugt demPabst sich in Venedigs);
So wird er seiner Feinde ledig.
Dann öffnet Heinrich er, dem Sohn,
Die Aussicht auf Siciliens Throns.
Nimmt er auch Süd-Italien ein,
Wer kann ihm noch entgegen sein?
24.
Zunächst muß er den Freund bekäm¬
pfen 4);
Des »Löwen« Willkürmacht zu dämpfen,
Zwingt ihn des Reichstags strenger
Spruch;
Er selbst verzieh' ihm leicht genug.
Bald lieget Heinrich ihm zu Füßen;
»So mußt den Uebermuth Du büßen?
Du selbst bist Deines Falles Schuld!«
Spricht Friedrich, — hebt ihn auf voll
Huld.
25.
Wohl glänzt' in seiner Kaiserpracht
Zu Mainz des Rothbarts heil'ge
Macht b);
Es strömen zu dem Friedensfeste
Die Hunderttausende der Gäste.
Der Kaiser denkt an seinen Freund,
Und schweigt, — vielleicht daß er ge¬
weint. —
Ihm gnügt nicht mehr das Kaiserthum;
Er trachtet nach dem höhern Ruhm:
Er ziehet nach dem heil'gen Lande; —
Da löst der Tod der Seele Bande 6). iwo
26.
Heinrich der Sechst', als Knabe schon
Erwählet für den Kaiserthron,
War hohen Sinns; doch er vergaß
In Freud' und Leid das rechte Maß 7).
Noch zwei Mal mußte mit dem »Leuen«
Die alte Fehde er erneuen,
Bis dieser sich ihn, alt und matt,
In Tülleda gesühnet hat 8).
27.
Der Kaiser^wollt' Italien
Jetzt beugen sammt Sicilien.
Ein Kreuzheer soll Byzanz bezwingen,
Das Kaiserthum im Ost erringen;
Daß all' die Macht sein Haus erwerbe,
Heischt er das Reich als wie ein Erbe;
Die Fürsten aber sind entgegen, —
Und früh muß er in's Grab sich legend, tntf
28.
Schon ist, zwei Jahre alt, sein Sohn
Erkoren zu dem Kaiserthron;
I Milano, die italiänische Namensform für Mailand. — 2) Ranke sagt: »Die
venezianische Zusammenkunft hat mehr zu bedeuten, als die Scene zu Canossa; — denn in Ve¬
nedig gab ein gereifter Mann Pläne auf, die er ein Vierteljahrhundert mit allen Kräften
verfolgt hatte.« — a) Durch Vermählung desselben mit der normannischen Erbtochter
Constantia. — 4) Friedrich bewies Heinrich dem Löwen aus Freundschaft fort¬
während Schonung, obgleich er die vom Reichstage gegen ihn ausgesprochene Acht
(Jan. 1180) vollziehen mußte. — I Der Reichstag zu Mainz 1184 war einer jener
großen Tage, an denen sich die Deutschen in den herrlichsten Gegenden ihres Vaterlandes
der Einheit und des Glanzes ihrer Nation, der ersten in der Christenheit, bewußt wurden
(vgl., die Spiele der alten Griechen). — I Friedrich I. ertrank in dem Flusse Seleph
oder Calycadnus in Cilicien. Schon nach den gleichzeitigen Geschichtschreibern ist ungewiß,
ob Friedrich I. beim Baden oder (was wahrscheinlicher ist) beim Uebergange über den
Fluß ertrank. — 7) Abr. S. 148. — 8) Heinrich VI. versöhnte sich mit Heinrich
dem Löwen zum ersten Male in Fulda 1190, zum zweiten 1194 in Tülleda, am
Fuße des Kyffhä users, beide Male, um nicht an einem Zuge nach Italien behindert
zu werden. Heinrich der Löwe zog fick auf seine Erblande (Braunschweig-Lüneburg)
zurück und starb 1195. — 9) Kein Kaiser hatte so hochfliegende Pläne, als Heinrich VI.;
er rieb sich aber früh auf. Abr. S. 148.
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