Full text: Überblick über die Brandenburg.-Preuß. Geschichte bis zum Regierungsantritte des Großen Kurfürsten, Allgemeine Geschichte von 1648 bis zur Gegenwart (Teil 3)

Die letztwilligen Aufzeichnungen Kaiser Wilhelms I. 127 
Maße. Bezeichnend für diese Pflichttreue ist das berühmt gewordene 
Wort, das er am Tage vor seinem Tode sprach: „Ich habe jetzt keine 
Zeit, müde zu sein!" 
Die letztwilligen Aufzeichnungen Kaiser N)ilhelrns I.1) 
Auf Befehl Sr. Majestät Kaiser Wilhelms II. ist folgender Auszug 
aus den letztwilligen Aufzeichnungen Kaiser Wilhelms I. im Reichsanzeiger 
veröffentlicht worden. Sie „enthalten ein herrliches Zeugnis erhabener 
Seelengröße und edeln, frommen Sinnes". Der Auszug hat nachstehenden 
Wortlaut: 
1. Koblenz, den 10. April 1857. Im Glauben ist die Hoffnung! Be- 
fiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf Ihn, Er wird es wohl machen! 
Herr, Dein Wille geschehe im Himmel wie auf Erden! Wenn diese Schrift 
in die Hände der Meinigen fällt, gehöre Ich zu den Abgeschiedenen. Möchte 
es Mir vergönnt sein, in Meinen letzten Lebensstunden Meinen Geist den 
Händen Meines Gottes zu empfehlen! Möchte es Mir vergönnt sein, von 
Meinen teuern Mich Überlebenden Abschied nehmen zu können! Sollte ein 
jäher Tod Mich ereilen, so möge Mein ganzes Leben eine Vorbereitung für 
das Jenseits gewesen sein! Möge Gott Mir ein barmherziger Richter sein! 
Ein viel bewegtes Leben liegt hinter Mir! Nach Gottes unersorschlicher 
Fügung haben Leid und Freude in stetem Wechsel Mich begleitet. Die schweren 
Verhängnisse, die Ich in Meiner Kindheit über das Vaterland einbrechen 
sah, der so frühe Verlust der unvergeßlichen, teuern, geliebten Mutter er- 
füllte von früh an Mein Herz mit Ernst. Die Teilnahme an der Erhebung 
des Vaterlandes war der erste Lichtpunkt für Mein Leben. Nie kann Ich es 
Meinem heißgeliebten König und Vater genugsam danken, daß er Mich teil¬ 
nehmen ließ an der Ehre und dem Ruhm des Heeres. Seiner Führung, 
Liebe, seiner Gnade danke Ich ja alles, was er Mir bis zu seinem Tode 
vertrauensvoll erwies. Die treueste Pflichterfüllung war Meine Aufgabe in 
liebender Dankbarkeit, sie war Mein Glück. Dem Könige, Meinem Bruder, 
der Mir zugleich vertrauensvoller Freund ist, kann Ich nie hinreichend für 
diese Stellung zu ihm dankbar sein. Wir haben schöne, aber auch schwere 
Zeiten zusammen durchlebt, die uns aber immer nur enger verbunden haben, 
vor allem die jüngsten Jahre, wo Verrat und Irrungen das teure Vaterland 
dem Abgrund nahe brachten. Seiner Gnade und seinem Vertrauen danke Ich 
es, daß Ich in Deutschland auf seinen Befehl Ordnung und Zucht herstellen 
konnte, nachdem er im eignen Lande dies Beispiel gegeben hatte. Alle, die 
mit Mir durch Freundschaft und Wohlwollen in Verbindung traten — und ihre 
Zahl ist nach Gottes Weisheit nicht gering gewesen —, finden hier Meinen 
heißen Dank und zugleich deu letzten Dank für ihre Liebe, mit der sie Mir 
begegneten. Viele sind Mir in das Jenseits vorangegangen — wie wird 
unser Wiedersehen sein? Allmächtiger! Du kennst Meine Dankbarkeit für 
alles, was Mir hienieden Teures und Schmerzliches begegnete! In Deine 
Hände befehle Ich Meinen Geist! Amen. Wilhelm. 
*) Zur Lektüre geeignet.
	        
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