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doch kein Dorf von seinen Eroberungen herausgeben; der preußische Name
aber solle gänzlich ausgelöscht werden aus der Reihe der Völker.
2. Die ersten Kämpfe, a) Die Schlacht bei Grofz-Görschen am
2. Mai. Die Heere der Verbündeten sammelten sich sehr langsam und rückten
ebenso langsam vorwärts, da beide Länder ihre Rüstungen noch nicht voll¬
endet hatten. Es war das ein großer Fehler; denn nun begann der Be¬
freiungskrieg statt am Rheine im Herzen Deutschlands. Im April schon über¬
schritt Napoleon den Rhein, zog die Truppen des Rheinbundes an sich, ging
Ende April über die Saale und wollte in geradem Zuge auf Leipzig und
Dresden marschieren, uni dort den Verbündeten die erste Schlacht zu liefern
und das Königreich Sachsen für sich zu gewinnen. Aus dem Marsche dorthin,
auf den weiten Ebenen bei Lützen, wo einst Gustav Adolf für die evangelische
Sache kämpfend und siegend gefallen war, wurde er plötzlich von den Preußen
und Russen angegriffen. Zwar besaß Napoleon 120000, die Verbündeten
nur 90000 Mann, aber dennoch stand die Schlacht, deren Plan von Scharn¬
horstentworfen war, für die Verbündeten günstig. Man schlug sich mit äußerster
Erbitterung, besonders um das Dorf Groß-Görschen, wo sich die Preußen
unter Blüchers Führung zuletzt siegreich behaupteten, nachdem sie es sechsmal
verloren und sechsmal aufs neue erstürmt hatten. Die jungen preußischen
Truppen taten Wunder der Tapferkeit; schon wankten die französischen Reihen,
da ließ Napoleon einen Teil seiner berühmten Garde in geschlossenen Reihen
vorrücken und 80 Kanonen auf einem Punkte auffahren, die Tod und Ver¬
nichtung in die Reihen der Verbündeten schleuderten. Sie mußten sich vor
der Übermacht zurückziehen, büßten aber weder Gefangene noch Kanonen und
Fahnen ein. Die ganze Wucht des Kampfes hatte auf den Preußen gelegen.
„Das sind die Preußen von Jena nicht mehr!" sagte Napoleon. Blücher
und Scharnhorst waren verwundet.
Die Preußen und auch Napoleon glaubten, am nächsten Tage werde man
die Schlacht erneuern. Aber in der Nacht noch weckte Kaiser Alexander den
König Friedrich Wilhelm und überzeugte ihn von der Notwendigkeit des Rück¬
zugs, weil man die Schlacht gegen das an Zahl viel stärkere Heer Napoleons
nicht fortsetzen wollte. Die Preußen, besonders der alte Blücher, waren über
diesen Rückzug sehr erbittert. Blücher hatte noch in der Nacht durch einen
kühnen Reiterangriff dem Feinde Schrecken eingejagt. Die Schlacht war keine
Niederlage, denn auch die Franzosen hatten sich während der Nacht zurück¬
gezogen. Überaus herrlich hatte die junge preußische Armee sich bewährt; selbst
die Toten lagen mit verklärtem Angesicht da. Napoleon behielt nichts, als
ein blutiges, schwer erkauftes Schlachtfeld. Doch war dies schon ein großer
Gewinn für ihn; denn nun erst galt er in den Augen seiner Bewunderer und
Verbündeten wieder als der Unüberwindliche.