I. Die römische und die christliche Welt
vom Anfang des römischen Kaiserreichs bis zum Beginn des
Mittelallers.
1. Das römische Kaiserreich seil Augustus bis Konstantin.
Kap. 1. Das Christentum und seine beginnende Verbreitung.
(Gesch. d. W. XII. 1.)
(1.) Wiewohl die Heidenwelt in Staatseinrichtungen, in Kunst und
Wissenschaft Hohes erreicht hatte und in ihren reineren Bestrebungen so¬
gar ein Sehnen und Hindrängen zu dem ihr unbekannten Licht nicht zu
verkennen war, so hatte sie sich doch vergeblich abgemüht, das verlorene
höchste Gut auf ihren eigenen Wegen zu finden. Anderseits hatte zwar
die Religion Israels mit ihrem Glauben an Einen persönlich leben¬
digen Gott durch das lebensvollere Prophetentum (diese Mittelstufe zwischen
Gesetz und Evangelium) wenigstens erkannt, daß das Gesetz ohne, göttliche
Vermittlung nicht erfüllt werden könne und daher weissagend auf dessen
Erfüllung im Evangelium hingewiesen: allein das später aufgekommene
Levitentum des Judaismus hatte den religiösen und sittlichen Halt,
welchen das echte Prophetentum gewährte, dadurch geschwächt, daß es °dem
Judentum das schwere Joch des Gesetzes auferlegte, unter dem dasselbe
seufzte, ohne es erfüllen zu können.
Da wurde, als die Zeit erfüllt war, unter dem Scepter des Kaisers
Augustus zur Zeit des Königs Herodes Zesus zu Bethlehem im jüdischen
Lande aus dem Königsgeschlechte Davids geboren.
^ König Herodes stellte dem neugeborenen Kinde, das ihm als künftiger König der
^uden bezeichnet worden war, nach dem Leben, doch vergebens. Bald darauf starb der
Wüterich an einer schrecklichen Krankheit, nachdem er sein Reich unter seine drei noch
übrigen Söhne geteilt hatte, indem Archelaus als Ethnarch Judäa, Samaria
und Jdumäa, Herodes Antipas und Philippus als „Tetrarchen" die übrigen
Teile des Reiches erhielten.
(2.) Zn stiller Verborgenheit herangewachsen, trat Jesus in seinem 30.
Jahre in voller Hingabe in den Willen seines himmlischen Vaters sein
Lehr- und Erlöseramt an, mit den Worten: „Die Zeit ist erfüllet, und
das Reich Gottes ist herbeigekommen: thut Buße und glaubt an das Evange¬
lium! d. i. an die frohe Botschaft, daß Gott allen Menschen, wenn sie
demütig ihre Sünden erkennen und bereuen und an Jesum, als den Sohn
des lebendigen Gottes, glauben, ihre Sünden vergeben wolle.
Umgeben von zwölf Jüngern, — einfachen und ungelehrten Israeliten,
die Jesus aus dem Stande der Niedrigkeit sich gewählt hatte, und von
denen ihm besonders Petrus und die Brüder Johannes und Jacobus
am nächsten standen, durchwandelte er das jüdische Land und predigte
vom Reiche Gottes, dessen Grundgesetze und Entwicklungsgang er vorzüglich
rn Gleichnissen enthüllte, in denen er das Himmelreich teils als eine selig*
machende Gotteskraft, teils als eine durch diese Kraft erbaute Gemeinde
Dittmar, Umriß d. Wellgesch. 12. Aufl. II. ■>