274 Kap. 73. § 299. Die Schwäche des deutschen Reichs.
und sich eine eigene kirchlich-politische Verfassung mit einer auf genauer Kenntnis
der einzelnen Glieder beruhenden Disciplin gab und in der von der Generalsynode
ernannten Altestenkonferenz zu Berthelsdorf (in der Oberlausitz) ihre Bundes¬
direktion und in vielen Ländern von Europa und Amerika, wie auch in Südafrika ihre
Gemeinden und Kolonieen hat, deren stillwirkende aufopfernde Thätigkeit im Missions¬
dienst von jeher Anerkennung fand. Von den Auswüchsen, welche sich anfangs in
dieser Gemeinde zeigten, und die ihr den ernstlichen Widerstand besonders lutherscher
Theologen, darunter eines Bengel, zuzogen, reinigte sie größtenteils schon ihr Bischof
Spangenberg, der auch eine genauere Fassung ihres Lehrbegriffs anstrebte. Doch
behielt sie ihren unierenden Charakter.
Die Engländer Wesley und Whitefield waren 1727 die Stifter der strengen
Methodisten-Sekte. Schon früher war in England durch Georg Fox 1667 die
Sekte der Quäker gestiftet worden, welche 1681 durch William Penn in Nord¬
amerika große Verbreitung fand. Der Feuereifer dieser Sekten wirkte allmählich be¬
lebend auf die Kirche zurück, gegen deren tote Orthodoxie sie gerichtet waren. —
Erwähnenswert ist, daß unter den sog. Freidenkern sich Christian Thomasius
(1684—1728) das Verdienst erwarb, durch seine Beredsamkeit die völlige Abschaffung
der Tortur und der Hexenprozesse zu bewirken.
Auch die erneuerte katholische Kirche bewies noch bis in die Mitte
des 18. Jahrhunderts eine rege Thätigkeit in Errichtung vieler neuen geist¬
lichen Körperschaften und Verbrüderungen, sowie in Verpflanzung des Ka¬
tholizismus nach andern Weltteilen. In letzterer Beziehung waren
namentlich die Jesuiten sehr thätig, besonders durch Franz Xaver
(§ 208) im portugiesischen Ostindien und in Japan, und durch
Matth. Ricci in China.
In der geistlichen Dichtung und Redekunst zeichnete sich in dieser Periode Jakob
Balde durch seine lateinischen Gedichte aus. Als volkstümlicher Prediger und Schrift¬
steller glänzte Abraham a Sta. Clara (Hofprediger in Wien).
(299.) Die politische Ohnmacht des deutschen Reichs wurde durch
die Selbstsucht der Reichsglieder gemehrt, indem jeder Reichsstand nur für
sich sorgte und, wo es seinen Vorteil galt, seine Pflicht gegen Kaiser und
Reich aus den Augen setzte. Das fortgesetzte Streben der Fürsten nach
Erweiterung ihrer Landeshoheit und der Zwist der katholischen und prote¬
stantischen Stände, von denen die letztem in dem Corpus Evangelicorum
einen, wiewohl nur schwachen Zusammenhalt fanden, ließ kein einiges
Handeln aufkommen. Führte ja eine Gefahr zu dem Entschluß gemein¬
samer Abwehr, so war die Hülfe, die jeder leistete, so langsam und träge,
daß gewöhnlich Verlust und Schmach das Ende der Unternehmung war.
Besonders brachte das ehrgeizige Streben des sächsischen Kurhauses nach
der polnischen Krone dem Reiche nur Schaden, wie sich das schon im nor¬
dischen Kriege gezeigt hatte und bald darauf noch deutlicher zeigen sollte.
Was übrigens die Macht des Hauses Österreich anlangt, so ver¬
mehrte sich dieselbe um diese Zeit durch einen neuen erfolgreichen Kampf
mit der Pforte. Im Jahre 1703 war nämlich der Waffenstillstand,
den diese beiden Mächte 1699 zu Carlowitz geschlossen hatten (§ 273), in
den auf 30 Jahre geschlossenen Frieden von Carlowitz verwandelt und
dieser sieben Jahre darauf nochmals auf 30 Jahre ausgedehnt worden.
Aber der Bruch dieses Friedens von seiten der Türken, welche den Vene-
tianern die ihnen in jenem Frieden abgetretene Halbinsel Morea wieder
entreißen wollten, hatte 1714 zur Erneuerung des Krieges geführt. In
diesem hat Kaiser Karl VI (im Bündnis mit Venedig) durch die Siege
des Prinzen Eugen bei Peterwardein (1716) und bei Belgrad,