324 Kap. 83. § 350. Tod d. Königin Luise. Stein. 
der Tochter des Kaisers von Österreich (1810), wodurch er seiner Dy¬ 
nastie bei den europäischen Fürsten den Schein der Legitimität geben wollte, 
die Geburt eines Sohnes (im Kometenjahr 1811), den er in der Wiege 
zum König von Rom ernannte, sowie zwischen 1808 und 1810 die Ver¬ 
einigung von Etrurien, Holland und Ostfriesland, dem nördlichen West¬ 
falen, Oldenburg und den Hansastädten mit Frankreich, endlich die mit¬ 
telbare Abhängigkeit der meisten Staaten Europas von ihm — alles dies 
bezeichnet den Gipfel von Napoleons Macht, von welchem ihn herabzu¬ 
bringen keine Möcht der Welt im stände zu sein schien. 
Berg blieb ein eigenes Großherzogtum. — Holland vereinigte er darum förm¬ 
lich mit Frankreich (1810), weil ihm sein Bruder, König Ludwig, die Kontinental¬ 
sperre nicht streng genug ausführte. Zwar suchte Ludwig das Königreich dadurch seiner 
Dynastie zu erhalten, daß er zu Gunsten seines Sohnes abdankte; allein Napoleon er¬ 
klärte diese Verfügung für ungültig. — Weil Pius VII sich dem Willen des Kaisers 
mcht hatte fügen wollen, war er (1809) nach Frankreich abgeführt worden, worauf 
Napoleon 1810 den Kirchenstaat gleichfalls mit Frankreich vereinigte. — 
Der Vermählung mit Marie Luise ging die Scheidung von seiner ersten Gemahlin 
^osephine voraus, die er nötigte, sich mit einer jährlichen Rente nach Malmaison 
zurückzuziehen, wo sie i. I. 1814 starb. Unter den Freudenfesten, die sich zur 
Huldigung Napoleons und seiner neuen Gemahlin allenthalben drängten, hatte das 
glänzende Fest, das der österreichische Gesandte, Fürst Schwarzenberg, zu Paris 
im Namen seines Kaisers am 1. Juli 1810 gab, einen tragischen Ausgang, indem das 
dazu erbaute Saalhaus, in welchem während des Festes eines der tausend Lichter 
eine Draperie ergriff, in einem Nu in Flammen geriet und im Gedränge der Flucht 
viele der Festgäste verbrannten, andere zertreten wurden. Unter den Verbrannten be¬ 
fand sich sogar die Fürstin Schwarzenberg. 
Kap. 83. Napoleons Sturz und die Neuordnung der europäischen 
Staatcn-Verhältnisse. 
(Gesch. d. Welt XXVII. Kap. 2—9. XXVIII. 2, 1.) 
(350.) Die despotische Willkür, mit welcher Napoleon nach außen 
Königreiche und Fürstentümer schuf und vernichtete, zeigte sich auch in seiner, 
keine historischen und positiv-rechtlichen Gründe beachtenden Umbildung und 
Veränderung der inneren Verhältnisse aller von ihm beherrschten Staaten. 
Zur vollkommenen Ausbildung absoluter Herrschaft fortschreitend, ließ er 
sowohl dem gesetzgebenden Körper als auch dem Senate nur den Schein 
politischen Lebens, indem jener nicht regelmäßig einberufen ward und 
dieser fast nichts zu thun hatte, als des Kaisers Dekrete über Länderein- 
verleibungen in die Form von Senatuskonsulten zu verwandeln. 
Unfreiheit der Rechtspflege, Verfolgungen durch die geheime Polizei, Beschränkung 
der Presse durch die strengste Censur, absichtliche Niederhaltung der Volksentwicklung, 
Lähmung des Handels durch die Kontinentalsperre, Steigerung der Preise aller Lebens¬ 
bedürfnisse, vorzüglich die fortwährenden außerordentlichen Konskriptionen — alles dies 
machte seine Herrschaft dem französischen Volke drückend und bei den abhängigen 
Völkern und Regierungen gefürchtet und verhaßt. 
In Deutschland hatte am meisten Preußen vom französischen Drucke 
zu leiden, indem es seit Österreichs unglücklicher Erhebung noch schärfer 
überwacht wurde. 
Die Verarmung der durch die Franzosen ausgesogenen Provinzen, die Stockung 
alles Handels, die vertragswidrige Vermehrung der Festungsbesatzungen, die vom Lande 
ernährt werden mußten, die landbelästigenden Truppendurchmärsche, das über ganz 
Preußen ausgebreitete Spähernetz und viele andere Plackereien lagen drückend aus 
den preußischen Herzen und erfüllten die einen mit glühendem Zorn über den Unter¬ 
drücker, die andern mit tiefem, am Leben nagenden Kummer. Dem letztem unterlag
	        
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