Kap. 95. § 414 u. 415. Zustände in Paris. Belagerungskrieg. Fall von Straßburg. 395
Kap. 95. Der Krieg gegen das republikanische Frankreich.
(414.) Schon am 5. Sept. sah die alte Königsstadt Reims den
König von Preußen in ihren Mauern; um die Mitte desselben Monats
erschienen in unaufhaltsamem Vormarsch die Sieger von Sedan vor Paris,
und bereits am 19. Sept. war die mit Flüchtigen überfüllte Hauptstadt
von allen Seiten cerniert und blieb seitdem durch die etwa 250,000
Mann starke Belagerungsarmee von dem übrigen Frankreich völlig abge¬
schlossen.
Die anfänglich von dem Minister des Auswärtigen, Jules Favre, nachher von dem
mit einer außerordentlichen Mission betrauten Thiers (auf seiner Rundreise an die
Höfe von London, Wien, Petersburg, Florenz) zur Intervention angerufenen auswär¬
tigen Mächte versicherten Frankreich zum Teil zwar ihrer Sympathieen, verweigerten
aber jede thatsächliche Unterstützung. Auch die Unterhandlungen Jules Favres mit von
Bismarck zerschlugen sich völlig, da der erstere jede Gebietsabtretung hartnäckig verwei¬
gerte, während v. Bismarck schon damals auf der Abtretung von Elsaß und Deutsch-
Lothringen mit Straßburg und Metz eben so fest bestand. So rollten die Würfel des
Krieges weiter.
(415.) Der Festungskrieg. Zunächst begann um die 3 Haupt¬
festungen Frankreichs (Paris, Metz, Straßburg) und mehrere Nebenplätze
(von denen sich schon am 23. Sept. das feste To ul den Deutschen unter
dem Großherzog von Mecklenburg ergab) ein in den Annalen der Kriegs¬
geschichte fast einzig dastehender Belagerungskrieg, der sowohl innerhalb
der Festungen alle Schrecken einer Belagerung über die Verteidiger und
die unglücklichen Städtebewohner brachte, als auch außerhalb für die Be¬
lagerungsheere alle Leiden, Entbehrungen, Gefahren und die mit jedem
Winterfeldzug verbundenen Drangsale im höchsten Maße mit sich führte.
Auch die Belagerung der Übrigen kleinen Festungen, welche die Kommunikations¬
linien zwischen Deutschland und Elsaß-Lothringen und die Etappenstraße gefährdeten,
wurde inzwischen mit Eifer betrieben. Bald fiel eine nach der anderen in deutsche
Hand (Soissons 16. Okt., Verdun 8. Nov., Diedenhofen 22. Nov., Pfalzburg 12. Dez.,
Montmedy 14. Dez., noch später Longwy, Peronne u. a.).
Wenige Tage nach der Übergabe von Toul fiel auch Straßburg (28.
Sept.), so daß nun die über Straßburg, Nancy, Toul nach Paris füh¬
rende Straße für den Verkehr mit den deutschen Heeren frei wurde und
die Reserve- und Ersatzheere ungehindert heranzogen, durch deren Zuzug
die Gesamtstärke der deutschen Heere bald bis auf 800,000 Mann stieg.
Die Belagerung von Straßburg durch den General v. Werder war gleich nach
den Tagen von Weißenburg und Wörth in Angriff genommen und ant 23. Aug. ins
Werk gesetzt worden; sie endete am 28. Sept. mit Kapitulation der Festung und Stadt.
Während bei den Belagerungen von Metz und Paris hauptsächlich eine mit eiserner
Ausdauer durchgeführte Cernierung und die dadurch herbeigeführte Aushungerung zum
Ziele führte, war es bei Straßburg außer den Cernierungsmaßregeln vor allem die
militärische Aktion einer regelrechten Belagerung, die nach Eröffnung der Lauf¬
gräben mit einer jeden neu eröffneten Parallele ihren Kreis immer enger um die Stadt
zog und bald mit einem verheerenden Feuer auf die unglückliche Stadt begann. Nach
siebenwöchentlicher Belagerung wurde die starke, freilich für eine Belagerung ebensowe¬
nig wie Paris und Metz vorbereitete Festung von ihrem heldenmütigen Kommandanten
Uhrich den Deutschen Übergeben.
Der 28. Sept. gab Deutschland eine seiner ehrwürdigsten Städte
wieder und mit dem Falle der Hauptstadt und Festung wurde ein geseg¬
neter Gau wieder mit Deutschland vereinigt, der so viele Jahrhunderte
in innigstem Kulturzusammenhang mit ihm gestanden hatte. Was Jahre
der Schmach ihm geraubt, Zeiten der Schwäche ihm entfremdet hatten,