408 Kap. 96. § 427 u. 428. Die Zustände in Österreich. Die Vorgänge in Irland.
(427.) Mas Österreich anbelangt, so ist es in den letzten Jahren mit
der Regelung seiner innern Verhältnisse beschäftigt. Dort hatte sich der
frühere sächsische Minister von Beust, welchem im Okt. 1866 das Mini¬
sterium des Auswärtigen, im Febr. 1867 die Ministerpräsidentenstelle und
bald darauf die Reichskanzlerwürde übertragen wurde, der schwierigen Auf¬
gabe unterzogen, Österreich in die Reihe der konstitutionellen Staaten ein¬
zuführen. Auch nach seiner Abdankung (Nov. 1871) schreitet die Regie¬
rung auf dem von ihm angebahnten Wege der Vereinbarung mit den
Landtagen der einzelnen Grönländer rüstig vorwärts. Auf die Blüte der
Gewerbe und Künste, überhaupt auf die Förderung aller Kulturbestrebungen
des Kaiserreichs wird die Weltausstellung, welche 1873 in Wien statt¬
fand, eine nachhaltige Wirkung ausüben.
Besondere Schwierigkeiten machte das Ausgleichungswerk zwischen Ungarn und den
österreichischen Völkern diesseits der Leitha. Nach der neuen Verfassung zerfällt Öster¬
reich in die beiden Reichshälften Cisleithanien (die deutsch-slavischen Provinzen)
und Transleithanien (Ungarn mit seinen Nebenländern), von denen jede ihre
eigene Verfassung und ein selbständiges Ministerium erhielt. Zur Verwaltung aller
Reichsangelegenheiten, welche beide Hälften gemeinsam angehen, nämlich für das Aus¬
wärtige, das Heerwesen, die Finanzen, ist ein aus 3 Mitgliedern bestehendes Reichs¬
ministerium eingesetzt, welchem die aus dem cis- und transleithamschm Parlament
ausgewählten Delegationen zur Seite stehen. Durch die Beschlüsse des cisleithanischen
Landtags über die Ehe, Schule und konfessionellen Verhältnisse ist ein erster, keines¬
wegs erfolgloser Versuch gemacht, das 1855 ohne Genehmigung des Landtags mit dem
Papste abgeschlossene Konkordat (§ 380) zu brechen, welches den politischen und reli¬
giösen Anschauungen unserer Zeit widerstreitet. Die Verschiedenheit der Nationalitäten,
die Ungleichartigkeit ihrer Interessen macht die Aufgabe der Regierung in Österreich
zu einer besonders schwierigen, die noch immer ihrer Lösung harrt. Daß Österreich
nach der Bestimmung des Berliner Friedens (1878) die Verwaltung der Herzego¬
wina und Bosniens übertragen wurde, ist unten (§ 440) erzählt.
(428.) England. (Die Vorgänge in Irland.) — Wenngleich es
schon Cromwell gelungen war, durch seinen Schwiegersohn Jreton
(§ 256) das katholische Irland völlig zu unterwerfen, so hörten doch
unter den späteren englischen Königen die Aufstände in dem hart bedrück¬
ten Lande nie auf. Der leidenschaftliche Ire konnte es nicht mit Ruhe
ansehen, daß fast aller Grundbesitz in die Hände englischer Grundherren
übergegangen und alles Kirchenvermögen der anglikanischen Geistlichkeit
überwiesen war, während er selbst seine katholischen Priester aus seinen
eigenen dürftigen Mitteln bestreiten mußte. Erst seit dem Erlaß der
Emancipationsakte (1829), durch welche den Iren der Eintritt ins
englische Parlament gewährt wurde, schien eine Aussicht auf Besserung
der Zustände eingetreten zu sein. Unter der Führung des kühnen Agita¬
tors O'Eonnel verlangten die irischen Abgeordneten in erster Linie die
Abschaffung des Zehnten, welchen sie der anglikanischen Geistlichkeit
entrichten mußten; als sie ihre Anträge nicht durchzusetzen vermachten,
drohte O'Eonnel mit dem Widerruf der Union (Repeal) und forderte
sein Volk auf, den Zehnten zu verweigern und Gewalt der Gewalt ent¬
gegen zu setzen. Es kam zu blutigen Kämpfen in dem unglücklichen Lande,
welches durch mehrere auf einander folgende Mißernten in die größte Ver¬
armung gesunken war. Allein weder die irische Zwangsbill (1833),
welche den Kriegszustand über die Insel verhängte, noch die irische Kir¬
chenbill, durch welche die kirchlichen Abgaben der Pächter entweder abge-