78
Die deutsche Kaiserzeit 919—1260.
üchen Befugnisse zu schmälern und beanspruchten es, in den Angelegen-
Herten des Reichs gehört zu werden und aus den Reichstagen darüber
zu beraten. Die Einkünfte der deutschen Könige ferner waren sehr ge-
sunken. Einst hatten sie über ausgedehnte Krongüter geboten: jetzt waren
diese bis auf geringe Reste als Lehen vergeben und verschleudert. Wer
in Zukunft die deutsche Krone trug, konnte nicht mehr auf das Reichs-
gut zählen, sondern mußte ein bedeutendes Familienerbe, eine Haus-
macht, entweder schon besitzen oder zu gewinnen suchen. Zugleich war
das Reich ein Wahlreich geworden. Auch stüher hatte der König gewählt
werden müssen, aber man hatte sich doch meist für den Sohn oder nächsten
Verwandten des Königs entschieden; jetzt wurde freie Wahl die Regel,
und die Kurfürsten wählten eine Zeitlang mit Vorliebe solche Fürsten zu
Königen, die nicht aus der Familie des Herrschers stammten.
Die Herabminderung der königlichen Macht aber hatte zur Folge
eine Herabminderung der inneren Einheit und der äußeren Macht des
8e3££te* deutschen Volkes. Die Zersplitterung Deutschlands nahm von nun
an fortwährend zu. Die Gebiete der großen Vasallen wurden immer
mehr zu wirklichen Staaten; Fehden und Kriege zwischen den Reichs-
deutschen" ständen wurden immer häufiger, und es fehlte der Richter, der schlichtend
^außen^und strafend hätte einschreiten können. Auch die äußere Macht des
Reiches nahm ab. Wo in jener Zeit das deutsche Schwert gegen äußere
Feinde sich kraftvoll erwies, war es selten der König, der es führte.
Die deutsche Hanse, der Bund niederdeutscher Städte, machte dem deut-
scheu Namen auch jetzt noch Ehre und erwarb sich gerade in jenen Tagen
des Verfalls der Königsmacht gewaltiges Ansehen; der deutsche Ritter-
orden leistete Großes für das deutsche Wesen; aber als die Städte und
der Orden in Not kamen und von Fremden bedrängt wurden, kamen
ihnen Kaiser und Reich nicht zu Hilfe. Ober- und Mittelitalien
ferner, die seit Otto dem Großen für der Hoheit des deutschen Königs
Untertan gegolten hatten, gingen der deutschen Herrschaft verloren. Ja,
deutsche Lande lösten sich vom deutschen Reiche los: die Schweiz
z. B. wurde ein selbständiges Land. So brachte denn die Zeit seit
dem Interregnum eine zunehmende Auflösung des deutschen
Reiches.
§ 79. Volkswirtschaft, Ackerbau, Gewerbe und Handel. Während
aber das deutsche Staatswesen seinem Verfall entgegenging, erblühte die
LaFwirt- deutsche Volkswirtschaft und wuchs der deutsche Wohlstand. Die Land-
Wirtschaft zunächst hatte große Fortschritte gemacht. Deutschland, vor