23. Die Jugendjahre Kaiser Wilhelms I.
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2. Bis über sein 16. Jahr hinaus hatte der Prinz einen schwäch¬
lichen Körper. Daher ließ ihn sein Vater beim Beginn des Befreiungs¬
krieges nicht sogleich mit in den Kampf ziehen. Es konnte seine Mutter
im Jahre 1808 an ihren Vater über ihn also schreiben: „Unser Sohn
Wilhelm wird, wenn mich nicht alles trügt, wie sein Vater, einfach
bieder und verständig; auch in seinem Äußern hat er die meiste Ähn¬
lichkeit mit ihm." Nach der Schlacht bei Leipzig gestattete der König
dem Prinzen die Teilnahine am Befreiungskämpfe. Im Februar
1814 lieferten die verbündeten Truppen in Frankreich dem Feinde eine
Schlacht bei Bar sur Au be,*) in welcher sich der Prinz auszeichnete.
Die Preußen und Russen hatten sich auf den Weinhügeln festgesetzt,
wurden aber von den an Zahl überlegenen Franzosen zurückgedrängt.
Der König setzte sich mit dem Kronprinzen und dem Prinzen Wilhelm
an die Spitze eines Kürassier-Regiments und versuchte, den Platz wieder
zu gewinnen. Sie befanden sich einige Zeit in so heftigem Gewehr¬
feuer, daß ein Oberst sich vor den König tvarf und ihn beschwor, sich
nicht länger der drohendsten Gefahr auszusetzen. Als der König die
gelichteten Reihen eines russischen Infanterie-Regiments sah, sagte er
zu seinem Sohne Wilhelm: „Reite einmal zurück und erkundige Dich,
was das für ein Regiment ist, und von welchem Regiments die vielen
Verwundeten sind, die sich jeden Augenblick niehren!" Rasch gab der
Prinz dem Pferde die Sporen und sprengte zu den fechtenden Bataillo¬
nen zurück. Ohne Angst erkundigte er sich nach dem Namen des Re¬
giments, überzählte die Verwundeten und überbrachte seinem königlichen
Vater die Nachricht von dem, was er gesehen und gehört hatte. Der
König sagte kein Wort, aber die Umgebung desselben sah mit Stolz
auf den mutigen Prinzen. Dieser schien gar nicht zu wissen, in welcher
Gefahr er sich befunden hatte.
3. Am 8. Juni 1815 fand in der Kapelle des Schlosses zu
Charlottenbnrg**) in Gegenwart der ganzen königlichen Familie
die feierliche Einsegnung des Prinzen Wilhelm statt. In dem Glaubens¬
bekenntnisse, das derselbe selbst verfaßt hatte, sagte er unter anderem:
„Ich will mich meines hohen Standes wegen nicht für besser halten
als andere Menschen. Meines Gottes will ich überall gedenken, an ihn
will ich in allen Dingen niich wenden und im Gebete mit ihm meine
Seele vereinigen. Ich weiß, daß ich ohne ihn nichts bin und nichts
vermag. — Ich will ein aufrichtiges und herzliches Wohlwollen gegen
*) Sprich Bar ßnr Ohb. **) Sprich Scharlottenburg.