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I. Erzählungen.
danken und boten ihm aus Dankbarkeit ein großes Geschenk an. Wer
weiß, was mancher getan hätte! Aber der Kommandant schlug das
Geschenk ab und sagte, er lasse sich keine gute Tat mit Geld bezahlen-
„Nur zum Andenken von euch", setzte er hinzu, „erbitte ich mir eine
silberne Münze, aus der die Stadt Hersfeld vorgestellt ist und der
heutige Auftritt. Dies soll das Geschenk sein, das ich meiner
künftigen Gattin aus dem Krieg mitbringen will." Dies ist ge¬
schehen im Februar des Jahres 1807, und so etwas ist des Lesens
zweimal wert.
7. Die Märe vom armen Geigerlein.
Heinrich Seidel. Erzählende Schriften. Stuttgart.
Vorzeiten war einmal ein armer, alter Geiger, dem ging es
sehr schlecht. Seine Beine wollten gar nicht mehr recht vorwärts,
und seine Finger waren so steif geworden, daß er nur mit Blühe die
Saiten auf seiner Geige zu greifen vernrochte. Darum wollten die
Leute seine Musik nicht mehr hören, und wenn ihm nicht mancher aus
Mitleiden ein Almosen oder ein Stück Brot gereicht hätte, so wäre er
anl Ende wohl gar des Hungers gestorben.
Eines Tages war er auf der Wanderung begriffen zu einer Stadt,
wo ein großes Fest gefeiert werden sollte, bei dem er mit seinem
kümmerlichen Geigenspiel etwas zu verdienen hoffte. Der Wind hatte
ihn durchkältet und der Regen durchnäßt, er war müde, hungrig und
elend, und so trübselig war ihm zu Blute, daß er sich am liebsten in
den Straßengraben gelegt hätte, um zu sterben.
Endlich, als gerade die Abendsonne noch einmal hervorbrach und
ihren funkelnden Schein auf die vorn Regen glänzerrden rmd tropfen¬
den Blätter warf, trat er aus dem Walde und sah vor sich im Grunde
die Stadt liegen mit ihren vielfachen Türmen und roten Giebeldächern.
Dahinter stand eine dunkelgraue Wolkenwand, und auf dieser wölbte
sich ein leuchtender Regenbogen, der aus dem lichten Schimmer frisch¬
belaubter Frühlingsbäume hervorzuwachsen schien wie aus grünem
Golde. Dies hätte das arme Geigerlein nun wohl als eine gute
Vorbedeutung betrachten können, allein er war viel zu elend, um der¬
gleichen überhaupt zu denken, und setzte sich seufzend auf einen feuchten
Stein, um sich vor dem Abstieg ins Tal noch ein wenig auszuruhen.
Da fielen seine Blicke auf eine Muttergotteskapelle zur Seite des
Weges, deren Türe gerade geöffnet stand, und der farbige Dämmer
darin lockte ihn zum Eintritt. In dem Kapellchen war es feierlich still,
und die Bildsäule der Mutter Maria mit dem Jesuskindlein auf dem
Arm stand von dem Schimmer der Sonne, der durch bunte Fenster