Full text: Geschichte der Neuzeit

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Die Verfassung selbst brachte dann die Teilung der Regierungs- 
gemalt: das Volk (vertreten durch eine „Kammer") erhielt die gesetz- 
gebende Gewalt; dem König verblieb die vollziehende Gewalt. 
Frankreich wurde dadurch aus einer absoluten eine 
konstitutionelle ^) Monarchie. 
Der König freilich war nicht damit einverstanden. Da er auch vor 
Gewalttaten des Pöbels trotz der neu errichteten Nationalgarde (Bürger- 
wehr) sich nicht sicher fühlte (der Pöbel hatte ihn zur Übersiedlung von 
Versailles nach Paris gezwungen), entschloß er sich zur Flucht 
(1791). Aber er wurde in Lothringen erkannt und nach Paris zurück- 
geschafft. Dort mußte er 1791 den Eis" auf die Verfassung 
leisten. 
Am Beginn der Bewegung hatten die Mitglieder des 3. Standes 
den Eid geleistet sich nicht zu trennen, ehe Frankreich eine neue Ver¬ 
fassung habe. Die neue Verfassung war da; die Versammlung hatte 
ihre Aufgabe erfüllt. Sie löste sich auf. Aber es war einer der verhäng- 
nisvollsten Fehler, daß man beschloß: „Niemand, der der Verfassung- 
gebenden Versammlung angehört hat, darf in die neue Versammlung . 
gewählt werden," die nun zur Beratung der Gesetze zusammentrat. 2) 
Die ernsten, erfahrenen Männer, die die Verfassung geschaffen hatten, 
fchieden aus und an ihre Stelle traten vielfach Leute, die als begabte 
Redner um die Gunst der Volksmassen warben, die Volksherrschaft 
statt der Monarchie anpriesen um durch das Volk selbst emporzusteigen 
(Demagogen; vom [griechischen] demos Volk und agein führen). 
Wie' stark durch die Tätigkeit dieser Demagogen die Stimmung 
gegen das Königtum bereits angewachsen war, zeigte das Ergebnis 
der Wahlen für die neue Versammlung, die um ihrer Tätigkeit willen. 
Gesetzgebende Versammlung * 
genannt wird: die Anhänger des konstitutionellen Königtums waren 
nurmehr ein Häuflein; die Hauptmasse der Gewählten 
waren Republikaner, die die Herrschaft des Volkes an Stelle des 
Königtums fetzen wollten.3) 
Die Republikaner selbst zerfielen in zwei Parteien: die G i r o n - 
d i st e n (genannt nach dem Departement Gironde in Südfrankreich) 
und die Jakobiner (genannt nach dem Dominikanerkloster in der 
St. Jakobstraße in Paris, wo sie ihre Beratungen hielten). Hinter den 
*) Konstitution — Verfassung. 
2) Infolge der Änderung der Verfassung waren neue Gesetze nötig ge- 
worden. 
3) Auf der rechten Seite des Saales saßen die Königstreuen (die 
staatserhaltende Konservative, von conservare erhalten) Partei); auf der l i n ken 
die Republikaner, die den Umsturz wollten. Seit dieser Zeit sind im politischen 
Leben die Bezeichnungen „Linke" und „Rechte" für Parteirichtungen üblich. 
— Überhaupt nahmen das politische Parteiwesen, die politische Presse, die po¬ 
litischen Versammlungen, die heute eine so große Rolle spielen, damals ihren 
Anfang.
	        
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