— 108 -
3. Die Flur (Gemarkung) gehörte als Gemeinbesitz (All-
inenb) der ans mehreren Höfen sitzenden Blntsgemeinde (Sippe),
welche Bodennutzung und Weide alljährlich verteilte. Holz und
Streu bot die gemeinsame „Mark", der Wald, welcher die Flur
meilenweit umgrenzte. Auch Jagd und Fischfang gehörte allen.
Als Wohnung bargen notdürftig zurechtgezimmerte Häuser,
im Winter auch wohl unterirdische Höhlen den Freien und seine
Gäste, die er jederzeit freundlich aufnahm und mit Kampfspielen
und Waffentänzen ehrte. Die gekauften oder im Krieg erbeuteten
Knechte wurden weit menschlicher behandelt als die Sklaven in
Griechenland und Rom. Herren- und Sklavenkinder wuchsen
ohne Unterschied in der freien Natur auf. Für Reinlichkeit und
Abhärtung sorgten tägliche Flußbäder. Erst die Erwachsenen
trennten sich nach Ständen.
4. Der freie Jüngling erhielt in feierlicher Versammlung
aus der Hand seines Vaters, eines Fürsten oder Verwandten
die Waffen, die er nie wieder von sich legte. Fortan nahm er
teil an den Volksversammlungen und Opferschmäusen, an Fehden
und Kriegszügen und jagte hoch zn Roß, mit Rüden und Falken
den Wolf und den Schelch, die zahlreich in den Wäldern hausten.
Stolz brachte er die Bärenfelle heim und die Hörner des Auer-
ochsen, die mit goldenem Beschläge bei den großen Trinkgelagen
in der Halle kreisten.
5. Aber des freien Germanen höchste Lust war der Krieg.
Im Lederkoller, bald auch im geflochtenen Kettenhemd, unter
dem Helm von Leder oder Blech zog der Heerbann des Gaues
oder Stammes aus, die Grenze zu verteidigen oder besseres
Wohnland zu erobern. Hundertschaft neben Hundertschaft in
der Keilform des Eberkopfes geordnet, schritten die Geschlechter
(Sippschaften) unter dem Vortritte des Häuptlings zum Sturm,
ihre Götter und Helden preisend in weihevollem „Schildgesang",
der von der Wölbung des vor^ den Mund gehaltenen Schildes
siegverheißend wiederdröhnte. Ähnliche Lieder sangen sie daheim
beim schäumenden Met.
Die Führung des Heerbannes stand dem Herzoge zu, welchen
die Freien in der Volksversammlung auf offener „Malstatt" ge-
wohnlich aus den angesehensten Heldengeschlechtern wählten und
zur Schau auf dem Schild emporhoben. Um ihn, aber auch
um andere Fürsten scharten sich ehrbegierige Jünglinge zu einer
Gefolgschaft, Gesinde genannt, einem Bunde der Huld und
Treue auf Leben und Tod. Wer ohite den Häuptling oder ohne
den Schild heimkehrte, verfiel der Ehrlosigkeit; aber auch der
Fürst ließ seine „Degen" niemals im Stich.