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gedanken zu verwirklichen, von denen er beseelt war. Schon vor
seiner Thronbesteigung schwer erkrankt, starb er, ein hartgeprüfter
Dulder, nach einer Regierung von 99 Tagen, 56 Jahre alt.
„Lerne leiden ohne zu klagen", das war eine seiner letzten
Mahnungen an seinen ältesten Sohn und Nachfolger.
IV. Aus der Gegenwart.
27. Kit Irr Kaiser, Wilhelm II. (seit 1888).
Der jetzt regierende Kaiser und König von Preußen ist ge-
boren am 27. Januar 1859. Seine Kinderjahre verlebte er zu-
meist in Potsdam und auf dem Gute Bornstedt. Durch seines
Großvaters und seines Vaters Vorbild wurde er für seinen
großen Beruf trefflich vorbereitet. Unter dem Einfluß seiner
hochgebildeten, für Kunst und Wissenschaft begeisterten Mutter
Viktoria gewann er als Prinz frühe ein lebhaftes Interesse
für alle geistigen Güter des Lebens, vor allem für Literatur,
Musik und Malerei. Seine Schulbildung empfing er auf dem
Gymnasium zu Kassel; nach der Reifeprüfung studierte er zwei
Jahre aus der Universität Bonn, lernte dann die Staatsverwal-
tung gründlich kennen und wurde durch den Fürsten Bismarck
mit den schwierigen Fragen der Staatskunst vertraut gemacht.
Am 27. Februar 1881 vermählte sich Prinz Wilhelm mit
Auguste Viktoria von Schleswig-Holstein-Augustenburg,
der Tochter des Herzogs von Augustenburg, einer Prinzessin
von echt deutschem Wesen. Im glücklichsten Familienleben fand
der Prinz Muße, sich auf den Herrscherberuf gründlich vor-
zubereiten. Vor allen Dingen war er Soldat vom Scheitel bis
zur Sohle. Früher, als er erwarten konnte, hatte ihn Gott
dazu berufen, den Thron seiner Väter zu besteigen. Als Kaiser
Wilhelm II. den deutschen Reichstag zum erstenmal um seinen
Thron versammelte, umstanden ihn einmütig sämtliche deutsche
Bundesfürsten. Der Kaiser feierte in seiner Thronrede vor
allem das Gedächtnis seines erlauchten Großvaters, des Reichs-
begründers, dem er in seiner Herrschertätigkeit nachzustreben
entschlossen sei. Er wiederholte die Versicherung, „nach außen