Full text: Litteraturkunde (Fünfter Teil = 9. bezw. 9. und 10. Schuljahr, [Schülerband])

25 
vorgehaltenem Schild den Gefährten schützte. Unwillig wandte sich der 
Held gegen ihn, riß ihm die Schulter von oben ab und öffnete die Seite. 
Mit lautem Schrei stürzte Tamastus, Trogus aber stieß bittere Schmähungen 
aus. „Stirb," rief Walthari, „und melde deinen Gesellen, wie du sie 
gerächt hast." Sprach's und drückte ihm die Goldspange um den Hals. 
Da lagen beide Freunde hingestreckt in den Staub. 
Seufzend schwingt sich der König aufs Roß und eilt zu Hagano, 
ihn endlich zum Kampfe zu bewegen. „Mich," sagt dieser, „hindert der 
Ahnen rühmloses Geschlecht, mir hat das kühle Blut den Mut genommen; 
mein Vater erblich, wenn er Speere sah, und schlug mit vielen Reden 
den Streit aus. Als du dies, König, unter deinem Gefolge prahltest, 
war meine Hilfe deiner unwürdig." Da drang Gunthari in ihn mit er¬ 
neuten Bitten, nimmer verwinde Frankreich solchen Schimpf; zischend 
werden die Franken sagen, von einem einzigen Unbekannten sei das ganze 
Heer erlegt. Hagano zauderte, bedachte die ehemals Walthari gelobte 
Treue. Endlich, als der König nicht nachließ, brach er in die Worte aus: 
„Wohin rufst du mich, Herr? Welcher Thor stürzt sich in das offene 
Grab? Nicht des teuern Neffen Tod hätte mich vermocht, die Treue zu 
brechen; für dich, König, begebe ich mich in die unzweifelhafte Gefahr. 
Doch von hier scheide ich aus dem Kampf. Laß uns weiter ziehen und 
auf der Warte lauschend die Rosse weiden, dann wird er uns fortge¬ 
gangen wähnen und seine enge Burg verlassen, im Rücken folgen wir 
ihm nach." Diesen Ratschlag lobt der König, umfängt und küßt den 
Helden, dann weichen beide zurück, erspähen sich den Hinterhalt und lassen 
die Rosse grasen. 
Mittlerweile war die dunkle Nacht eingebrochen, und Walthari, der 
weise Held, begann zu überlegen, ob er in der sichern Burg verweilen 
oder in der öden Wildnis fortziehen solle. Blos den Hagano scheute er 
und jene Umarmung des Königs. „Wollen die Feinde nachts in die 
Stadt zurückkehren, neue Krieger sammeln und früh morgens das Ge¬ 
fecht erneuern? Oder liegen sie allein auf naher Lauer?" Aber auch 
den unwegsamen Wald fürchtet er, wilde Tiere und die Gefahr für die 
Jungfrau. Alles erwogen, beschließt er zu bleiben, bis der Tag das 
Licht wiederbringe. „Der stolze König soll nicht sagen, daß ich in Diebes¬ 
weise aus dem Gebiete entwichen sei."- 
Dornen und Gesträuche haut er und verbaut den engen Pfad. Dann 
mit bitterem Seufzen naht er sich den Leichnamen, fügt jedem Rumpf sein 
Haupt an, und gegen Osten knieend, das bare Schwert haltend, betet er 
also: „Dir, o Schöpfer, ohne dessen Willen nichts geschieht, danke ich, 
daß du mich schirmtest vor den Geschossen ungerechter Feinde; verleih, 
o gütiger Herr, der du die Sünde, nicht den Sünder vernichten willst, 
daß ich alle diese dereinst in dem himmlischen Sitze schauen möge."
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.