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Gegen die Soldaten war er leutselig und gerecht. Er erkundigte sich
nach ihren Familienverhältnissen, nahm an Freud und Leid seiner Unter-
gebenen den innigsten Anteil, und waren sie krank, dann besuchte er sie
im Lazarette. Dagegen verlangte er auch, daß jeder Soldat im Dienste
seine Schuldigkeit tue und die Befehle genau befolge. Zu Weihnachten ließ
er einen prächtigen Lichterbaum ausstellen. und jeder seiner Untergebenen
erhielt ein passendes Geschenk. Die Soldaten hingen mit großer Liebe
an ihm.
Als Oberst des Garde-Husarenregiments hörte er von dem leicht-
sinnigen Spielen seiner Offiziere. Mit aller Entschiedenheit trat er
gegen die Unsitte auf und verbot das Spielen mit Geld aufs strengste.
Die Offiziere wandten sich um Rücknahme des Verbotes an Kaiser Wilhelm I.
Er versuchte zwar den Prinzen umzustimmen' dieser aber blieb standhaft
und sprach : „Majestät, bin ich noch Oberst des Regiments?" Der Kaiser be-
jahte es. „Dann gestatten Euer Majestät, meinen Befehl aufrecht zu halten,
oder um meinen Abschied zu bitten." Der alte Kaiser freute sich über die
Entschiedenheit seines Enkels und gab lächelnd zur Antwort: „Davon kann
keine Rede sein, einen so guten Obersten werde ich sobald nicht wieder be-
kommen." Der Befehl des Prinzen blieb in Kraft.
11. Die kaiserliche Familie.
Die Vermählung. Am 27. Februar 1881 vermählte sich
Prinz Wilhelm mit der Prinzessin Auguste Viktoria. Sie ist
die älteste Tochter des Herzogs von Schleswig-Holsteiu -Sonderburg-
Augustenburg und wurde am 22. Oktober 1858 zu Dölzig im
Regierungsbezirk Frankfurt a. d. O. geboren.
Unsere Kaiserin, a) Die Jungfrau. Ihre Jugendzeit ver-
lebte unsere Kaiserin auf Schloß Primkenau in Unter-Schlesien.
Mit ihrer jüngeren Schwester erhielt sie eine vorzügliche Ausbildung,
besonders wurden ihre bedeutenden Anlagen für Malerei nnd Musik
treu gepflegt. Besuche in England und Südsrankreich gaben ihr
reiche Gelegenheit, sich in der englischen und französischen Sprache
tüchtig auszubilden. Gottesfurcht und Wohltuen lernte sie von ihrer
frommen Mutter. An ihrer Hand besuchte sie als Kind Arme und
Kranke und schenkte ihnen gern ihre Sparpfennige. Ihr Lieblings-
spruch war:
„Ohrt' Gottes Gunst
All Tun umfuust."
Einen schönen Beweis ihrer Herzensgüte gab sie am Tage ihrer Kon-
jirmatton. An diesem Tage hatte sich auch Martha, die Tochter eines
®e*?er§' an die Kirchentür gestellt, um die Feierlichkeit anzusehen.
Als die Prinzessin ausstieg, sagte das kleine Mädchen etwas laut vor sich
hm: „Ach. wenn ich doch eine Prinzessin wäre!" Das hörte ein älterer
Herr und sagte zu dem Kinde: ..Warum möchtest du denn eine Prinzessin
fem? Wohl, um auch solche schöne Kleider zu haben?" „Ach nein," er-
widerte errötend das Kind: „mein Vater ist ein armer Weber; jetzt ist er
krank, und wir haben kein Geld, um den Arzt bezahlen zu können."
Der Herr, welcher dies angehört hatte, war ein Lehrer der Prinzessin.
Am anderen Tage kam er zu ihr und erzählte den Vorfall. Auguste
Viktoria ging nnt ihrer Mutter zu der armen Familie, ließ nahrhafte
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