110 Walthari und Hildegund.
Theoderichs Reich, dieses Reich zweier Völker, ist freilich bald unter*
gegangen. Oströmer eroberten es, unb bann kamen bie beutschen Longo-
borben. Zu Ravenna aber ragt noch heute ein gewaltiges Denkmal
Theoberichs; bort hat er sein eigenes Grabmal errichtet: einen mächtigen Runb¬
bau mit einer Kuppel. Aber biefe Kuppel ist nicht aus Steinen ausgemauert,
bas verstauben bie Germanen nicht; es ist ein einziger riesiger Steinblock
von neuntausenb Zentnern Gewicht, ber sich über Theoberichs Sarge wölbt.
So steht bas Gebäube noch heute unverletzt: tief in ben Boben eingesunken,
von Leuchtkäfern umschwirrt, spricht es noch heute von ber Macht eines ber
größten unb ebelsten Germanenkönige.
IX. walthari unb Hildegund.
A. Gefangennahme. König Etzel hatte nicht Ruhe in seiner hölzernen
Hofburg am Donaustrom. Zahllos wie ein Heuschreckenschwarm über¬
schwemmten bie Hunnen bie beutschen Rheinlanbe unb Gallien, unb überall
herrschte Entsetzen über ben ungebetenen Besuch. Voran brauste Etzel zu
Pferbe, unb kein Berg war zu hoch, er würbe überklettert, kein Fluß war
zu breit, er würbe burchfchwommen. Sie raubten unb morbeten, wohin sie
kamen, unb führten Tausenbe von Gefangenen mit sich. Da entschlossen sich
bie Könige biefer Länber zur Unterwerfung, um bie Völker von der Plage
zu retten, und Etzel verlangte einen jährlichen Zins und die Auslieferung je
eines Königskindes als Geisel. König Gibich zu Worms aber hatte nur
ein ganz kleines Knäblein Günther; da begnügte sich Etzel mit des Königs
Neffen, dem jungen Hagen. König Herrich von Burgund in Gallien aber
mußte fein einzigesKind, feine kleine Tochter Hildegund, ausliefern, und
der König ber Westgoten unb Gallier, Alphari, ber nun allein Etzel gegen«
überstanb, sanbte bitteren Herzens seinen einzigen kleinen Sohn Walthari.
So war Etzel befriebigt unb kehrte um, reich mit Beute beloben.
B. Gefangenschaft. Traurig folgten bie brei Königskinber; boch würben
sie nicht schlecht behanbelt. Hilbegunb würbe ber Gattin Etzels, ber eblen
Königin Helche, übergeben, unb bte zog das Mägblein zur zierlichen Jung¬
frau unb tüchtigen Hausfrau heran, unb balb war Hilbegunb so geschickt,
baß sie als Schaffnerin über ben ganzen Haushalt gefetzt würbe unb auch
bie Schlüssel zur Schatzkammer führte. — Jnbes ließ Etzel bie beiben Knaben
in allen Waffenkünsten unterweisen, unb balb waren bie jungen Helben in
jebem Kriege bie besten Helfer König Etzels. Dennoch staub allen breien
bas Herz nach ber Heimat.
C. Flucht. Da starb zu Worms König Gibich, unb Günther folgte.
Er brach alsbalb ben Vertrag unb weigerte Etzel ben Zins. Nun war
Hagen, ber Bürge für bte Treue seines Königs war, an Leib unb Leben