Full text: Lebensbilder aus Sage und Geschichte (Vorstufe)

212 Wilhelm I. 
Kinderjahre. Aber als er anfing zu denken, begann auch daS ^Unglück 
Preußens. Er sah den Vater ernst, die Mutter in Tränen. Der zehnjährige 
Knabe sah sern in Königsberg und Memel das Unglück des Landes, den 
Übermut des Siegers. Dort, im 
fernen Osten, ist er mit zehn Jahren, 
wie alle preußischen Prinzen, Offizier 
geworden und in die Armee einge¬ 
treten, die damals nur noch in 
Trümmern vorhanden war. Er 
ahnte nicht, daß er einst all diese 
Schmach wieder gut machen sollte 
„durch Gottes Fügung". Aber fromm 
und ernst mußte so frühes Leid die 
Seelen der Knaben machen. Die 
Königin meinte selbst, es sei ihren 
Kindern gut, daß sie „die ernste 
Seite des Lebens schon in ihrer 
Jugend kennenlernen." Vom Prinzen 
Wilhelm schrieb sie an ihren Vater: 
„Unser Sohn Wilhelm wird, wenn 
mich nicht alles trügt, wie sein Vater, 
einfach, bieder und verständig." Sie 
hat wohl recht gehabt; er ist schlicht 
und bescheiden geblieben, trotz aller 
Siege und Ehren, die ihm zufielen. 
Aber der Weg bis dahin war weit 
und führte durch viel Schmerz hindurch. Am 19. Juli 1810 kniete der 
dreizehnjährige Knabe an der Leiche der Mutter, der Vielgeliebten. Es gab 
keinen preußischen Staat, keine preußische Armee, keine Königin Luise mehr! 
Aber Prinz Wilhelm durfte mithelfen, die Mutter zu rächen. Er 
vergaß nicht, wie sie in Schwedt zu dem Bruder und ihm stark und 
mutig gesagt hatte: „Begnügt euch nicht mit TränenI Werdet Männer!" 
Dem Prinzen war es vergönnt, dieser Mahnung zu folgen. Als 1813 die 
Befreiungskriege ausbrachen, war er sechzehn Jahre alt und ein ernster, ge¬ 
setzter Jüngling, der sich schon den Ruf eines zuverlässigen Offiziers errungen 
hatte. Er ging mit Vater und Bruder nach Breslau, und von hier aus 
rief der König sein Volk zum Kampfe. Hier schuf er am Geburtstage der. 
Königin Luise den Orden des „Eisernen Kreuzes" als Ehrenzeichen für die 
Freiheitskämpfer. Hier sah der junge Prinz die Begeisterung des Landes: die 
Frauen brachten dem Könige all ihre Kostbarkeiten, ihr Silbergeschirr, ihre 
Trauringe, die Männer knieten zu Tausenden in den Kirchen und ließen sich 
einsegnen für den großen Krieg, und alle Straßen wimmelten von preußi- 
Der Kronprinz. 
Prinz Wilhelm.
	        
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