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Camillus und die Gallier.
zum Oberanführer wählten. Dann rückte er mit ihrem Heere vor Rom, und
dieses geriet in äußersten Schrecken, denn man kannte die Tapferkeit und
Wildheit Coriolans. Da schickte zunächst der Senat eine Gesandtschaft,
darunter Freunde und Verwandte des Coriolanus, aber dieser empfing
sie mit dem größten Prunk inmitten der Volsker und wies sie trotzig ab,
und als sie ihn Coriolanus nannten, verbat er es sich; einen neuen Namen
wollte er sich durch den Brand Roms verdienen. Da versuchte man noch
eine zweite Gesandtschaft, man hieß alle die ehrwürdigen Priester Roms
hingehen, um Schutz für die Stadt und die Heiligtümer zu erbitten; aber
auch die erreichten nichts. Endlich entschlossen sich die vornehmen Frauen
Roms zu einem letzten Versuche. Im langen Zuge, in Trauerkleider gehüllt,
kamen sie ins feindliche Säger, an ihrer Spitze Veturia und neben ihr
Volumnia, die Gattin Coriolans, mit ihren beiden kleinen Knaben. Auch
sie empfing Coriolanus, auf feinem Feldherrnstuhl sitzend; aber betroffen
stand er auf, als er seine Mutter erkannte und als seine Kinder auf ihn
zuliefen. Als nun seine Mutter ihn bat, die Stadt zu verschonen, sie und
ihr Haus nicht für immer dem Haß und der Verachtung preiszugeben, da
konnte Coriolan nicht mehr widerstehen. Er hob sie auf und sagte: „Mutter,
Rom hast du gerettet, aber deinen Sohn hast du verloren!" Alsbald gab
er den Befehl zum Rückzüge, und die Volsker gehorchten ihm zunächst, denn
sie waren selbst durch den Anblick gerührt. Aber Marcius hatte recht geahnt:
da man sah, daß die verheißene reiche Beute durch Coriolans Umkehr ver¬
loren ging, fielen die Volsker über ihn her und schlugen ihn tot. So endete
der große Feldherr in Schmach, weil er gegen sein Vaterland gezogen war.
Die Plebejer aber behielten ihre Tribunen und söhnten sich ganz allmählich
mit den Patriziern aus.
V. Lainillus unb die Gallier. 387 v. Lhr.
A. Camillus in Veji. Immer weiter dehnten die Römer ihre Macht
aus. Nachdem sie ganz Latium unterworfen hatten, drangen sie nach Norden,
nach Etrurien, vor. Dort widerstand ihnen die starke Festung Veji,
obgleich sie neun Jahre, Winter und Sommer hindurch, belagert wurde.
Im zehnten Jahre ernannte man Furius Camillus zum alleinigen Be¬
fehlshaber auf sechs Monate, zum „Dictator", und es gelang ihm, einen
geheimen Gang unter den Mauern von Veji durchzugraben. Mitten in der
Stadt im Juno-Tempel hob sich plötzlich während des Opfers eine Stein¬
platte des Fußbodens, und heraus stürmten die Feinde. So wurde Veji
eingenommen und geplündert. Aber auch Camillus wurde ein Opfer des