Full text: Deutsche Sagen und Geschichten aus dem Mittelalter (Teil 2)

— 15 — 
zu weinen. „Thränenlos,“ sprach sie, „bleiben meine 
Augen um Balders Tod; weder im Leben noch auch im 
Tode kann Balder mir nützen, Hel behalte, was sie 
besitzt.“ So konnte der gute Gott Balder nicht wieder 
zu der Himmelsburg zurückkehren. Das böse Riesen¬ 
weib aber war niemand anders als der Unheilsgott 
Loki, der den Göttern schon so vielen Kummer ver¬ 
ursacht hatte. 
4. Voll Grolles über den Unhold beschlofs Wodan 
ihn zu bestrafen. Loki merkte, dafs die ändern Götter 
ihm Übles sannen und floh davon. Aber die Götter 
folgten ihm und entdeckten ihn endlich, wie er sich in 
Gestalt eines Fisches im Wasser barg. Dreimal mufsten 
sie das Wasser nach seiner ganzen Breite durchfischen, 
bis es ihnen endlich gelang, ihres Feindes habhaft zu 
werden. Er mufste jetzt wieder seine wahre Gestalt 
annehmen und wurde in eine Höhle geschleppt, wo ihm 
ein jammervolles Lager bereitet wurde. Drei scharfe 
Felsen waren seine Ruhestätte, der eine unter den 
Schultern, der andere unter den Lenden, der dritte 
unter den Kniegelenken. Über dem Haupte des Ge¬ 
fesselten wurde eine Natter befestigt, deren quälender 
Geifer ihm in das Angesicht tropfte. Niemand nahm 
sich des Verlassenen an; nur sein treues Weib Sigyn 
blieb bei ihm und fing in einer Schale das träufelnde 
Gift auf, dafs es des Gefesselten Antlitz nicht verletze. 
Wenn aber die Schale sich gefüllt hat und Sigyn das 
Gift ausleert, dann fallen die Tropfen auf Lokis Ange¬ 
sicht; voll unsäglicher Schmerzen windet und krümmt 
er sich und rüttelt so heftig an seinen Banden, dafs 
die Erde erzittert. Das nennen die Menschen dann 
Erdbeben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.