§7. Theseus. 21
Als sie in Kreta angelangt waren, sah Theseus bald, wie schwierig
es war, zum Ziel zu gelangen. Denn das Ungeheuer befand sich in einem
großen Hause, aus dessen Jrrgängen, selbst wenn er den Minotaurus getötet
hätte, sie sich nicht herausgefunden hätten. So geschickt hatte der be-
rühmte Baumeister Dädalus es erbaut. Aber Theseus verzagte nicht. Er
gewann die Liebe der Tochter des Minos, der schönen A r i a d n e, welche
den herrlichen Jüngling in seiner Kühnheit bewunderte und ihm Hilft ver-
sprach. Sie schenkte ihm einen Knäuel Garn, dessen Ende er an der Ein-
gangstür festband, wahrend er allmählich das Garn aufwickelte. So kam
er mit feinen Begleitern und Begleiterinnen zum Mittelpunkt des Haufes,
wo das schreckliche Ungeheuer sie erwartete. Tapfer griff es der Jüngling
an und tötete es nach einem furchtbaren Kampfe. Mit Hilfe des Fadens
kamen sie auch glücklich heraus und wurden von der ängstlich wartenden
Ariadne jubelnd begrüßt. In einem fröhlichen Tanze freuten sich alle
der Rettung. Doch sie mußten noch furchten, von dem wilden Könige
Minos gefangen zu werden, und so beschloß Theseus, heimlich zu ent-
fliehen. Die treue Ariadne, welche ihm so liebevoll geholfen hatte, nahm
er aber mit sich. Mit ihr lebte er einige Zeit glücklich auf der Insel
Naxos, doch mußte er sie dort auf den Befehl des höchsten Gottes der
Griechen, Zeus, zurücklassen, weil dieser sie zur Göttin erheben wollte.
Die Krone, welche Ariadne als Göttin trug, wurde als Sternbild an den
Himmel gesetzt und scheint unter dem Namen „Krone der Ariadne" noch
heute auf die Menschen herab.
Theseus aber segelte allein weiter, voll froher Hoffnung, die liebe
Heimat und den alten Vater wiederzusehen. Nur die Trauer um die zu-
rückgelassene Ariadne störte die Freude des Wiedersehens, und in Gedanken
an die Verlorene vergaß Theseus das Versprechen, das er einst beim Ab-
schied seinem Vater gegeben hatte; er wechselte nicht die schwarzen Segel
in weiße um. Sein Vater Ägeus hatte schon viele Tage am Ufer auf einem
hohen Felsvorfprung gesessen und in das weite Meer geblickt, ob nicht
endlich das ihm wohlbekannte Schiff zurückkäme. Als er in der Ferne die
schwarzen Segel erkannte, packte ihn die Verzweiflung, der unglückliche
Vater stürzte sich in das Meer, das nach ihm bis zum heutigen Tage das
Ägäische heißt. Theseus konnte nur voll Trauer in die Heimatstadt ein-
ziehen.
Die Athener ehrten aber noch lange das Schiff, auf dem er so sieg¬
reich heimgekehrt war, und benutzten es zu den Fahrten nach der kleinen
^nsel Mos, wo sie alle Jahre dem Gotte Apollo Opfer brachten.