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Deutsche Sagen.
So wußte Parzival erst recht nicht, was er von der Burg und ihren Be-
wohnern halten sollte. Er ritt traurig weiter und traf bald nachher am
Wege sitzend ein klagendes Mädchen. Von ihr ersuhr er, was er versäumt
hatte. Die Burg war die Gralsburg, der kranke König hieß Ansortas;
dieser hatte mit seinen Rittern den heiligen Gral zu bewachen. Da er
aber gegen die Gralsgesetze verstoßen hatte, mußte er an einer schweren
Wunde leiden und warten, bis er durch die Frage eines Jünglings nach den
Wundern des Grals erlöst wurde. Diese Frage hatte Parzival versäumt
und sich so sein Heil, Gralsritter zu werden, verscherzt. Als dann auch die
Fluchbotin des Grals, K u n d r i e, am Hofe des Königs Artus den Fluch
über ihn aussprach und er ausgestoßen wurde, ergriff Parzival Erbitterung
und wilde Verzweiflung.
Fünf Jahre streifte er in der Welt umher, manches Land durchstrich er
zu Roß und zu Schiffe; jeden, mit dem er kämpfte, warf er zu Boden.
Aber keine Ruhe fand er in seinem Herzen, die Gralsburg war ihm ver-
schlössen, er hatte sie noch nicht wiedergesehen. Ja er kümmerte sich nicht
um Gott und zweifelte an dem Höchsten. So traf er an einem Karfreitag,
an welchem er zum Hohn gegen alles Ritterrecht in voller Wehr und
Waffen umherzog, einen frommen Pilger, der ihn auf den rechten Weg
wies. Durch ihn wurde Parzival ermahnt, sich an einen heiligen Mann,
einen Klausner, der in der Nähe wohne, zu wenden. Parzival tat es und
wurde durch diesen von seinen Seelenzweifeln befreit. Er glaubte wieder
an Gottes Gnade und Barmherzigkeit, er bereute sein gottloses Leben und
hoffte auf Verzeihung. So gelang es ihm, die Gralsburg zu finden.
Wieder wurde er aufgenommen wie das erste Mal. Er sah alle Herrlich-
ketten, aber diesmal tat er die erlösende Frage nach den Wundern des
Grals. Der alte König Anfortas, fein Oheim, der Bruder seiner
Mutter, wurde von seiner Wunde geheilt und bestimmte Parzival zu seinem
Nachfolger. Parzival fand auch endlich seine treue Gattin Kondwiramur
wieder, die ihm zwei Söhne, Lohengrin und K a r d e i s, geboren
hatte. So hatte sich Parzival aus der Torheit seiner Jugend durch bittere
Verzweiflung zur höchsten Seligkeit durchgerungen. Der Dichter endet mit
den Worten:
„Wes Leben so sich endet,
Daß er Gott nicht entwendet
Die Seele durch des Leibes Schuld,
Und er daneben doch die Huld
Der Welt mit Ehren sich erhält,
Der hat sein Leben wohl bestellt."