Full text: Vorschule der Geschichte

107 
Harpagos nahm Anstand, diesen Befehl ganz zu befolgen, denn 
Astyages war alt, und er fürchtete die Rache der Mandane, wenn 
diese zur Herrschaft käme. Er übergab daher den Knaben einem 
Hirten mit der Weisung, ihn in einer wilden Gebirgsgegend auszu¬ 
setzen. Der Hirte aber, durch die prächtigen Kleider des Kindes auf¬ 
merksam gemacht, erkundigte sich, woher er stamme, und als er hörte, daß 
Mandane seine Mutter sei, beschloß er, ihn zu retten. Da ihm eben 
ein toter Knabe geboren war, setzte er diesen aus, den Kyros aber 
erzog er als seinen Sohn. So wuchs dieser auf, ein Hirte unter 
Hirten, und zeichnete sich durch Schönheit und Kraft so unter seinen 
Gefährten aus, daß diese ihn in ihren Spielen immer zum Könige 
wählten. Alle gehorchten ihm dann willig; nur einmal war ihm der 
Sohn eines vornehmen Mannes nicht gehorsam gewesen. Da be¬ 
strafte ihn Kyros mit der Peitsche, wie es die Könige in Asien mit 
ihren ungehorsamen Unterthanen zu thun pflegten. Der aber lief 
weinend zu seinem Vater. Nun geschah es, daß zufällig ber König 
Astyages in jenen Gegenden anwesend war und von diesem Streite 
hörte. Er ließ den Kyros vor sich führen und stellte ihn zur Rede. 
Der aber antwortete keck: „Ich habe nur gethan, was du ebenfalls 
thust, wenn einer deiner Unterthanen dir ungehorsam ist." Jetzt 
betrachtete der König den Knaben näher und bemerkte eine auffallende 
Ähnlichkeit zwischen ihm und Mandane. Durch Drohungen erfuhr 
er von dem Hirten die Wahrheit und war froh, daß er den hübschen 
und mutigen Knaben als seinen Enkel anerkennen konnte. Den Un¬ 
gehorsam des Harpagos aber bestrafte er grausam, indem er dessen 
Sohn töten ließ. Darüber empört, sann der Vater aus Rache. 
Viele Jahre vergingen indes, ehe ihm Gelegenheit zu derselben wurde. 
5>ie Befreiung der Perser. Unterdes war Kyros bei den 
Persern zu einem kräftigen Jüngling herangewachsen und sah mit 
Unwillen, wie diese von den Medern bedrückt wurden. Da kam einst 
ein Jäger zu ihm mit einem Hasen und sagte, er wäre von Harpagos 
gesandt, der ließe ihn bitten, den Hasen ohne Zeugen zu offnen. 
Neugierig, was er wohl enthalte, that Kyros, was der Bote ver¬ 
langt hatte, und fand im Leibe des Hasen einen Brief des Harpagos. 
Dieser ermahnte ihn darin, eingedenk zu sein, wie Astyages ihm nach 
dem Leben getrachtet hätte, und wie er ihm, dem Harpagos, allein 
seine Rettung verdanke; ferner wie die Perser unter dem Joche der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.