Full text: Geschichte des Orients und Griechenlands (Bd. 1, Abth. 1)

8 Die Urgeschichte. 
schiednen Völkern die verschiedensten Formen annahm, denen allen aber gemein- 
sam ist, daß durch Opfer die Gnade der höhern Wesen gesucht und — eine 
natürliche Folge, nachdem einmal willkürlich das Göttliche in Geschöpfe gesetzt 
war — immer mehr und mehr Götter angenommen wurden (Polytheismus). 
Als höhere Formen müßen wir diejenigen Religionen bezeichnen, in welchen die 
Götter als frei bewnste, wenn auch zur erhabnen Menschlichkeit herabgerückte 
Wesen (Anthropomorphismns) gefaßt werden, tiefer stehn die, welche entweder 
Naturkräfte oder die in ewigen Bahnen wandelnden Gestirne als Götter hin- 
stellen, am tiefsten jene, welche jeden beliebigen Gegenstand zum Gegenstand 
göttlicher Verehrung machen (Fetischismus). Wenn sich auch bei allen heidnischen 
Völkern ein tiefer sittlicher Verfall, der sogar das Laster als Gottesdienst^) gelten 
läßt, und schließlich entweder der angstvollste nur das Walten menschenfeindlicher 
Wesen (Dämonen) anerkennende Aberglaube oder gänzlicher Unglaube findet, 
nachdem einmal die UnHaltbarkeit der im Volke lebenden Vorstellungen durch den 
Verstand gefunden ist, so dürfen wir doch auch nicht übersehn, daß sich Gott 
an den Heiden nicht uubezeugt gelaßen, wie wir erkennen in der Erhaltung ge- 
wisser Reste der Offenbarung, welche in einzelnen Heiden eine reinere Erkenntnis 
und eine anzuerkennende Gottesfurcht und Frömmigkeit erzeugten, namentlich aber 
die Erinnrnng an einen frühern glückseligern Zustand ^) und eine Sehnsucht 
nach Errettung aus der jammervollen Trostlosigkeit. Beides in Verbindung mit 
dem auch den Heiden ins Herz geschriebnen Gesetz rief oft Thaten der Selbstüber- 
Windung und Selbstaufopferuug um höhrer Zwecke willen hervor, die manchen 
Christen zu beschämen im Stande sind. Immer aber beweist die Geschichte der 
heidnischen Völker, daß der Glaube und die Unterordnung unter eine, wenn 
auch falsch vorgestellte, höhere Macht besfre Früchte treibt, als der Unglaube. 
6. Die Entstehn" g von Staaten beruht auf der von Gott eingesetz- 
ten Ordnung. In der Familie behauptet der Vater eine auf der natürlichen 
Liebe beruhende Auctorität und teilt jedem das Seine zu, wobei er ihn schützt und 
erhält. Erweitert sich die Familie zum Stamme, so bleibt ein gleiches Recht 
bei dem Ältesten: es bedarf keiner weitern Festfetzuugeu, keiner andern Auetori- 
tät, so lange die Verhältnisse einfach bleiben und das Gefühl der Verwandt- 
schastbei allen Gliedern mächtig ist. Die patriarchalische Verfassung erhält 
sich daher bei allen Nomadenvölkern in ihren wenig veränderten Grundzügen 
oft viele Jahrhunderte hindurch. Verwickelter werden die Verhältnisse, wenn 
ein Stamm zum Volk erwachsen und in festen Wohnsitzen seßhaft geworden ist. 
Eine allgemeine Ordnung reicht nicht mehr aus, die Pflichten des einzelnen 
gegen die Gesamtheit und sein Recht in ihr bedürfen einer Festsetzung (Gesetze) 
und die Überwachung derselben, Schutz nach innen und außeu, die Entwerfnng 
der Pläne für das Gemeinwohl und die Ergreifung der zu ihrer Ausführung 
zweckmäßigen Mittel machen die Aufstellung einer starken Macht (Regierung) 
nötig. Da das fortgeschrittene Bedürfnis eine Teiluug der Arbeit (s. 4) her- 
beigeführt hat, naturgemäß aber bei noch größerer Einfachheit des Lebens und 
der Sitte in der Regel der Sohn sich dem Beruf des Vaters widmet, so bilden 
sich Stände. Einen solchen machen bald auch die aus, welche in Folge ihrer 
tiefern Kenntnis, die sich natürlich in den Familien fortpflanzte, als der Gott- 
heit näher stehend betrachtet und deshalb mit der Ausübuug des Dienstes der- 
selben beauftragt wurdeu (Priest er st and), und da nun das Bewustseiu, daß 
die Ordnung in Gottes Willen beruhe, anfänglich noch lebendig war, so wurde 
1) Beispiel der Dienst der Mylitte bei den Babyloniern. — 2) Sagen vom gol- 
denen Zeitalter.
	        
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