n. Deutsche Sagen.
Göttersagen. Im Anfange erleuchtetete keine Sonne den Tag
und lein Stern die Nacht; da rauschte kein Meer, da grünte kein
Baum. Es war alles dunkel und leer. Aber der Geist Allvaters schwebte
über dem öden Raume. Als sich das Licht von der Finsternis ge¬
schieden hatte, entstanden zwei Welten, eine kalte und dunkle, die hieß
Niflheim, und eine heiße und lichte, die hieß Muspelheim. Aus einem
Brunnen in Niflheim ergossen sich zwölf Ströme; sie erkalteten im
Norden zu Eis und bedeckten sich mit hohen Schneemassen. Im Süden
aber, da wo sie sich Muspelheim näherten, wurden sie glühend heiß.
Hier entstand aus ihnen der Niese 2)mir, welcher noch andere furchtbare
Eisriesen bildete. Sie nährten sich von der Milch einer Niesenkuh,
die ebenfalls aus dem Eise und der Glut entstanden war. Als diese
das Eis beleckte, trat der Körper eines Mannes hervor, des ersten
Wesens von menschlicher Gestalt.
Die Götter aber töteten den Niesen. Da floß aus seinen Wunden
so viel Blut, daß alle Eisriesen bis auf einen ertranken. Der rettete
sich auf einem Bote, wurde nun aber mit seinen Nachkommen ein
grimmer Feind der Götter und Menschen. Aus dem Leibe des Urriesen
entstand die Welt; aus seinem Blute das Wasser, aus dem Fleische
die Erde, aus den Knochen der Fels, aus dem Schädel der Himmel.
Feuerfunken, die von Muspelheim aufgeflogen waren, setzten sich an
seine Wölbung an und wurden zu Gestirnen. Aus den Augenbrauen
des Riesen aber erschufen die Götter die Menschen und wiesen ihnen
ein drittes Reich (Midgard) als Wohnsitz an.
Die Götter (Äsen) wohnten weit über dem gestirnten Himmel,
in Asgard, einem herrlichen Garten, den ein Wasser umgab, hell wie
Kristall.