Full text: Vorschule der Geschichte

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landen heim, um für den Enkel zu sorgen, Kriemhilde aber blieb in 
Worms zurück. Sie war so in ihr Leid versunken, daß sie nichts 
fragte nach ihrem Reiche, und daß sie sich auch um den Sohn nicht 
kümmerte. Dagegen sann sie Tag und Nacht darüber nach, wie sie 
den Tod ihres teuren Mannes an den Mördern rächen könnte. So 
lebte sie in der Stille dreizehn Jahre in Worms, ohne mit ihrem 
Bruder Günther zu sprechen, ohne Hagen jemals anzuschauen. Um 
sie zu versöhnen, ließ Günther den großen Schatz, den Hort der 
Nibelungen, nach Worms bringen und lieferte ihn der Schwester 
aus. Als sie nun aber reiche Spenden von ihren Schätzen gab, 
fürchtete Hagen, sie werde sich mit dem Gute zu viele Freunde er¬ 
werben, daher raubte er ihr den Schatz und versenkte ihn tief in 
den Rhein. Dort liegt er zwischen Lorsch und Worms bis auf den 
heutigen Tag. Aber durch diese Gewaltthat wurde Kriemhilde aufs 
neue zur Rache angespornt. 
König Khek. Fern im Lande der Hunnen wohnte ein mächtiger 
König mit Namen Etzel, der über viele Reiche und Könige gebot. 
Er hatte eine Frau, Heiche geheißen; die starb ihm. Da hörte er 
von der Schönheit der Kriemhilde im Burgundenlande und schickte 
Boten aus, daß sie um dieselbe würben. Der Markgraf Rüdiger 
von Bechlaren übernahm die Werbung und erschien in Worms. Wohl 
waren die Brüder geneigt, die Schwester fortziehn zu lassen, nur 
Hagen riet entschieden davon ab, denn er ahnte, daß sie die neue 
Macht dazu anwenden werde, ihre Feinde zu verderben. Kriemhilde 
selbst antwortete dem Boten: „Wenn Ihr, Markgraf Rüdiger, meines 
Herzeleids kundig wäret, so würdet Ihr mir zn einem zweiten 
Manne nicht raten, nachdem ich den besten verloren habe." All fein 
Zureden blieb vergeblich, bis er ihr insgeheim sagte, er und feine 
Freunde wollten es den entgelten lassen, der ihr Leid zugefügt hätte. 
Da erwachte in ihr der Gedanke der Reiche mit solcher Gewalt, daß 
sie bereit war, ihm in das Land der Hunnen zu folgen. Aber sie 
ließ sich von Rüdiger einen feierlichen Eid schwören, daß er der erste 
sein wollte, der ihr das Leid, das ihr jemand zugefügt habe, räche. 
So zog sie in Begleitung des edlen Markgrafen von dannen. Bis 
Zur Grenze des Landes geleiteten sie die Brüder; in Passau wurden 
die Reisenden von dem Bischof Pilgrin, bei der Stadt Ens von 
der edlen Gotelinde, Rüdigers Gemahlin, empfangen und nach
	        
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