10 Erster Abschnitt: Erzählungen aus den Sagen des klassischen Altertums.
zu Gast. Frevelhaft verletzte er das Gastrecht und entführte heimlich
Helena, die Gemahlin des Königs. Auch viele Schätze nahm er mit.
Diese Tat wurde als Schimpf für ganz Griechenland betrachtet, und alle
Fürsten Griechenlands rüsteten sich zu einer Rachefahrt nach Jlium, wie
man Troja nannte. Agamemnon, der Bruder des Menelaus, wurde
Oberanführer des gesainten Heeres. Im Hafen von Aulis versammelten
sich die Schisse. Wegen anhaltender Windstille konnten sie nicht in See
gehen. Der Seher Kalchas erklärte die Windstille für eine Strafe des
Himmels, weil Agamemnon eine der Göttin Artemis geweihte Hirschkuh
auf der Jagd getötet hätte. Es würde nicht eher günstiger Fahrwind
wehen, bis Agamemnon feine eigne Tochter Iphigenie der beleidigten
Göttin opfern würde. Agamemnon war bereit, das schmerzliche Opfer zu
bringen. Schon lag die Königstochter gebunden auf dem Opferaltare,
fchon hatte der Opferpriester das Messer gezückt, da senkte sich eine finstere
Wolke aus den Altar, und als diese verschwand, lag statt der Jung-
srau eine Hirschkuh darauf. Iphigenie war von der Göttin nach Tauris,
der heutigen Halbinsel Krim, entrückt worden. Nachdem die Hindin ge-
opfert war, blähte günstiger Fahrwind die Segel, und die Flotte fuhr
rasch dem Gestade Kleinasiens zu.
Zehn Jahre kämpften die Griechen mit den Trojanern in der Ebene
von Jlium mit wechselndem Erfolg. Es waren weniger Kämpfe der Heere
als Einzelkämpfe zwischen den tapfersten Männern beider Völker. Unter
den Trojanern ragte durch besondere Tapferkeit Hektor hervor, der Sohn
des Priamus, unter den Griechen Ajax der Große, „der ein Turm war
in der Schlacht", und Achilles, ein Königssohn aus Thessalien./
Seine Mutter, die Göttin Thetis, hatte ihn nach der Geburt in den
Styx getaucht. Dadurch wurde er unverwundbar. Nur an der Ferse,
wo die Mutter ihn beim Eintauchen gehalten hatte, konnte er verwundet
werden. Später hatte sie ihn, als Mädchen verkleidet, nach einer Insel
des Agäischen Meeres geschickt und dort nach Mädchenart erziehen lassen,
damit er nicht im Kampfe umkommen sollte. Als aber der Kriegsruf
ertönte, warf der herrliche Jüngling die Mädchenkleider ab, griff nach
Speer und Schild und schloß sich dem Rachezug an. Durch ihn verlor
Hektor das Leben. Aber die Stadt Jlium wurde noch nicht eingenommen.
Mit größter Tapferkeit und Ausdauer verteidigten die Trojaner die
Mauern und Türme ihrer Vaterstadt.
Da griffen die Griechen zur List. Odysseus, der listenreiche König
von Jthaka, einer Insel des Jonischen Meeres, riet, ein großes hölzernes
Pferd zu bauen. In das Innere sollten sich die tapfersten Helden ver-
stecken, die Flotte müßte sich mit der übrigen Mannschaft nach "einer Insel
zurückziehen. Im Lager sollte alles Überflüssige verbrannt werden, damit
die Trojaner, wenn sie dies von ihren Stadttürmen aus gewahrten, glauben
sollten, die Griechen wären in die Heimat abgezogen. Den aus der Stadt